Sly & The Family Stone – It’s A Family Affair
Mit Sly Stone war die Futurhythmatik zu einer Familien-Angelegenheit geworden. Die Single »Family Affair« markierte für drei Wochen das obere Ende der Billboard-Hot-100-Charts und machte die Fremdheit synthetischer Drum-Sounds unheimlich vertraut. Auf ungezählten US-amerikanischen Plattenspielern lief die 45-RPM-Single ebenso wie im Mainstream-Radio auf heavy rotation. Joe Mansfield erinnert sich, wie er als kleiner Junge fasziniert diesen Sounds lauschte, die seine Mutter sonntäglich im Wohnzimmer auflegte. In der Einleitung zum Bildband Beat Box. A Drum Machine Obsession, in dem Mansfield seine umfangreiche Sammlung präsentiert, schildert er diese Szene eindrücklich und mit der unverkennbaren Nostalgie eines gealterten fünfjährigen Drum-Machine-Enthusiasten:
»I can still remember the first time I heard one [a drum machine; MP]: I was around five years old, and had already fallen in love with the music my mother would play on weekends. Out of our living room speakers flowed the sounds of groups like The Rolling Stones, David Bowie, CCR, Cat Stevens, Jefferson Airplane, Neil Young and a bit of Motown. But my favourite record was Sly and the Family Stone’s ›Family Affair.‹ There was something different about it. I had no idea what it was, but it was different, as was the entire There’s A Riot Goin’ On album. I loved the strange pops, ticks and boings emanating from the percussion track. Every time she would play that album I would stop what I was doing and listen.« (Mansfield, Joe (2013): Beat Box. A Drum Machine Obsession. Malden: Get On Down. S. 13.)
Klangliche Kindheitserinnerungen rekapitulieren die Unfassbarkeit dieser ersten futurhythmatischen Affinität. Überhaupt scheint speziell »Family Affair« solche sonische Retrospektive geradezu zwangsläufig zu triggern: Auch Miles Marshall Lewis wechselt, just wenn er auf diese erfolgreichste aller Sly-&-The-Family-Stone-Singles zu sprechen kommt, in den Modus der autobiographischen Kindheits-Erzählung:
»In my nursery school days I can recall hearing ›Family Affair‹ on the Dynaco Stereo in my folks’ South Bronx apartement. I remember thinking how strange it was that this DJ kept speaking over the song; this song with only the chorus of a woman singing ›It’s a family affair‹ (that would be Rose Stone) and this jive DJ talking over the track about a mom loving her kids and ›crying ’cause you’re all broke down.‹ And every time this song would come on the radio – I couldn’t differentiate much between the radio and my dad’s turntable – this DJ would repeat the same spiel, as far as I could tell.« (Lewis, Miles Marshall (2010): There’s A Riot Goin’ On. New York: Continuum. S. 93/94.)
Beide Autoren verorten ihre Erinnerungen auffällig eindeutig in einer ausdrücklich familialen Motivik: Einerseits im lokalen Nexus familialer Beziehungen, der Wohnung (»my folks’ South Bronx apartment«) oder noch konkreter dem Wohnzimmer (»Out of our living room speakers […]«), andererseits in direktem Bezug auf die Figuren der Eltern (»the music my mother would play […]«, »my dad’s turntable […]«). Zugleich aber schildern beide auch, wie der so eigenartige Sound der Platte diese klassisch familiale Szenerie des elterlichen Wohnzimmers vom einen Moment auf den anderen verändert, irritiert, vielleicht befremdet (»I had no idea what it was, but it was different […]«, »I remember thinking how strange it was […]«). Die funky Fremdheit dieser Sounds – die funkologicalienation – flutet genau den Hort kindlicher Vertrautheit, wird aber gerade nicht als beängstigend oder bedrohlich erinnert, sondern vielmehr als anziehend oder gar liebenswert (»I loved the strange pops, ticks and boings […]«). Noch einmal also tritt hier die Rhythmus-Machine als ein klassisches Motiv des Unheimlichen auf, dieses Mal im Schoß der Familie: It’s a family affair!
Sonic Fiction heißt, die auf den Platten mitgelieferten Theoreme, Motive, Denkfiguren auf die Sounds rückzukoppeln, um im konkret technoästetischen (und nicht metaphorisch verklärt soziologischen) Sinne Resonanzen zu erzeugen. Klären wir also abschließend einige der vielschichtigen Familien-Angelegenheiten bei Sly Stone. Let’s handle some family business here for a minute.
Der Rhythm King, die Funkbox, wird durchaus buchstäblich Teil der Familie, Mitglied der Family Stone. Und bereits diese war wiederum in den späten 60er Jahren in vielerlei Hinsicht so etwas wie ein experimentelles Modellprojekt progressiver (Familien-)Soziologie. Wahlverwandtschaften ersetzten Erbschaftsmythen, ein Miteinander von Schwarzen und weißen Musiker*innen den latenten Rassismus biologistischer Abstammungslinien, und obwohl Sly Stone gerne eine verquere Interpretation des klassischen Patriarchen mimte, traten neben ihm selbstbewusste weibliche Musikerinnen auf, die – zu dieser Zeit keineswegs selbstverständlich – nicht der bloßen klanglichen und/oder optischen Dekoration dienten, sondern integraler Bestandteil der Family-Stone-Performance waren.
Dieses Experiment war, wie so viele andere Projekte der hoffnungsvollen 60er Jahre, bei Veröffentlichung der LP There’s A Riot Goin’ On im November 1971 weitgehend gescheitert. Natürlich betraf aber auch das nicht Sly und seine Family Stone allein: »Everything his group stood for was no longer hip. Agents of political change were assassinated an the ultimate crooked, hard-nosed Richard Nixon took office in 1969.« Die andauernde Gewalt des Vietnam-Kriegs, insbesondere aber die Ermordungen von Martin Luther King Jr. im April und von Robert F. Kennedy im Juni 1968 ließen die Möglichkeit eines liberaleren, offeneren und vor allem weniger rassistischen US-Amerika, das eben noch in greifbarer Nähe schien, plötzlich als schal gewordene, naive Utopie dastehen. Die Alben-Titel weiterer Soul-Größen neben Sly Stone können als eine inoffizielle Chronik dieser Desillusionierung gelesen werden: Marvin Gaye besang die Ratlosigkeit auf seinem bereits kurz vor Riot im Mai 1971 erschienenen Meisterwerk What’s Going On. Curtis Mayfield veröffentlichte mit Superfly kurz darauf im Sommer 1972 eine bittere Hymne auf die Pimps und Hustlers, deren Figuren in all ihrer gewalttätigen Zwielichtigkeit die engen Grenzen Schwarzer Agency brutalst möglich bewusst machten. Stevie Wonder, Motowns einstiger signature smile, zog sich in seine Innervisions (August 1973) zurück und lieferte darauf mit »Living For The City« eine wütende, textlich explizite Darstellung afroamerikanischer Marginalisierungserfahrung, die mit ihren fast barocken Synthesizer-Linien bereits einen neuen Ausweg aus der deprimierenden Gegenwart andeutete: einen neuen Futurismus, Futurhythmus, can you dig that? Jeff Kaliss hört außerdem gerade auf diesem Track den Einfluss heraus, den der Songwriter Sly Stone auf das ehemalige Wunderkind hatte:
»Throughout Stevies lyrics [on ›Living For The City‹; MP], there were echoes of Sly’s fanciful tricking out of the English language, an aspect of poetic prowess rarely encountered in rock or any other song form.« (Kaliss, Jeff (2008): I Want To Take You Higher. The Life And Times Of Sly & The Family Stone. Milwaukee: Backbeat Books. S. 95.)
Über die textliche Ebene hinaus, die hier wie so oft als alleiniges Spielfeld virtuoser Poetik gelten gelassen wird, verbindet Sly Stone und Stevie Wonder aber vor allem anderen die Radikalität ihrer sound-poetischen Praxis. Gerade abseits der etablierten und bis heute immer wieder restaurierten Autorfunktion eines Songwriters entwerfen beide auf ihre Weise eine neue Subjektposition musikalischer Gestaltung. Sly Stone und Stevie Wonder sind Producer-Künstler, Sound-Tüftler, Funk-Epistemologen, deren ästhetische Praxis sich nicht mehr so sehr im Rahmen einer Band-Performance verstehen lässt, sonder innerhalb einer neuartig technoästhetischen Schaltzentrale aus Multitrack-Recording, Synthesizer-Systemen und – nicht zuletzt – elektronischen Rhythmus-Maschinen.
Hier zeigt sich dann auch, inwiefern die Experimente der Sound-Scientists Stone und Wonder bereits eine ästhetische Bruchlinie erahnen lassen, welche die oben nur skizzierten Verschiebungen der sozio-kulturellen Tektonik zu Beginn der 70er Jahre begleitet. Die »zwei entgegengesetzten Tendenzen« der Futurhythmaschine, die Kodwo Eshun zum Ende des 20. Jahrhunderts diagnostiziert, beginnen bereits, sich abzuzeichnen. Sly Stone und Stevie Wonder unterziehen, auf dem Olymp des ›Soul‹ angekommen, diesen zunächst unbemerkt aber umso konsequenter einer Neuauflage, einem Versioning, das Abbruch und zugleich Fortsetzung unter anderen Vorzeichen ist: (Dis)Kontinuität, ›Post-Soul‹.
Eshuns Version des Post-Soul-Begriffs wiederum gibt dieser Konzept-Maschine einen entschieden post-humanistischen Dreh. Zuerst eingeführt in der afroamerikanischen Kulturkritik bei Autoren wie Nelson George, funktioniert Post-Soul dabei zunächst vor allem als kulturhistorischer Marker zur Bezeichnung eben jenes Wendepunkts, den der Beginn der 70er für die Bürgerrechtsbewegung im engeren und Schwarze Kultur(en) im weiteren Sinne darstellt. Gerade bei George findet sich der Begriff dabei eingebettet in eine offen normative, geradezu klassisch kulturpessimistische Niedergangserzählung, wie sie sich schon beinahe selbstironisch überspitzt in folgender Passage – wohlgemerkt ›Post-Soul‹ überschrieben – zusammengefasst findet:
»Diese Geschichte beginnt dort, wo die alte endet. Die alte Geschichte ist voller Optimismus und enthusiastischer Ideale, wie man Menschen durch politische Entscheidungen und moralische Argumentation verändern kann. Die neue Geschichte, unsere Geschichte, ist voller Zynismus, Sarkasmus und einer zur Kunst erhobenen Selbstverliebtheit. Der Wendepunkt liegt in den frühen 70er Jahren, als Ponchos, Plateauschuhe und Richard Nixon in Mode waren. Die Phase der Bürgerrechtsbewegung unter Führung von Martin Luther King, mit seinem Prinzip der Gewaltlosigkeit, seinen Protestmärschen in frisch gestärkten weißen Hemden und schmalen Krawatten war längst tot – und das nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes.« (George, Nelson (2002): XXX. Drei Jahrzehnte HipHop. Freiburg: orange press. S. 17.)
So verständlich die Enttäuschung über eine gescheiterte Utopie ist, verspielt diese Lesart des Post-Soul-Begriffs allerdings dessen analytisches Potential, indem sie, statt die neue kulturelle Konstellation zu beschreiben, die sich dort historisch herausbildet, diese direkt als bloßes Zerfallsprodukt, als traurigen Rest eines authentischen Projekts ›Soul‹ festschreibt. Nicht zufällig ähnelt Georges Kritik – in ihrer Sorge vor dem Verlust universaler Gewissheiten, im Vorwurf eines zynischen, egoistischen Relativismus – einem gängigen Muster, mit dem Verfechter*innen ›moderner‹ Kulturkonzepte stets versucht haben, diese gegen ihre vermeintlich ›post-moderne‹ Zersetzung zu verteidigen. Es ist daher ebenso wenig ein Zufall, dass Autor*innen wie Marc Anthony Neal oder Francesca T. Royster, die die bei Nelson George so lose und polemisch eingeführte Rede vom ›Post-Soul‹ fortsetzen, neu ausrichten und theoretisch ausarbeiten, gerade dieses postmoderne Moment zum terminologischen Angelpunkt machen.
Neal etwa bespricht in seiner ›Post-Soul-Ästhetik‹ Soul Babies ausdrücklich »the postmodern realities that confront the African-American ›community.‹« Deindustrialisierung, Desegregation, die kulturindustrielle Aneignung Schwarzer Popkultur, schließlich die Kybernetisierung der Arbeit, die Globalisierung von Finanzwelt und Kommunikation – all das sind nur einige der Aspekte, die das Erleben der ›Soul Babies‹ charakterisieren; jener …
»children of soul, if you will, who came to maturity in the age of Reaganomics and experienced the change from industrialism to deindustrialisation, from segregation to desegregation, from essential notions of blackness to metanarratives on blackness without any nostalgic allegiance to the past […].« (Neal, Mark Anthony (2002): Soul Babies. Black Popular Culture and the Post-Soul Aesthetic. New York: Routledge. S. 3.)
Spätestens an dieser Stelle wird die sozio- oder kulturhistorische Großerzählung vom Post-Soul – die als genuin postmodern ironischerweise sich selbst in Zweifel ziehen muss – auch als generationale Erzählung lesbar. Solche Generationen-Narrative sind ihrerseits kulturtechnische Synchronisations-Vorrichtungen, mit denen individuelle und kollektive Erfahrungen, persönlich biographische und historische Gemengelagen differenzbildend erzeugt, sequenziert, rhythmisiert werden, um sie anschließend ›in Takt‹ zu bringen. Die Rede von Generationen ist mithin eine narrative Rhythmus-Maschine. Sie lässt die Erzählung als Zählung deutlich werden – count it down: one, two, three, in she go, ah! – und damit als kulturtechnische Konstitution einer spezifisch differenzierbaren Zeitlichkeit. Es ist dann bloß noch eine funktionale Entscheidung, ob die jeweilig im Fokus stehende Generation ihre Identität gerade aus der stammbäumischen Rückrechnung auf vergangene Ahnen erhält – Kontinuität –, oder vielmehr aus der Disruption, dem Bruch mit dem unmittelbar Vorangegangenen – Diskontinuität. In beiden Fällen macht die Generation eine kaum überschaubar heterogene Vielheit an Erfahrungen, Denk- und Handlungsweisen in einem handlichen Kolletivsingular adressierbar.
Es soll hier allerdings gar nicht um die Angemessenheit solcher (zweifellos produktiven) narrativen Operatoren gehen. Let’s get back to (family) business real quick. Mit Blick auf die angesprochene Post-Soul-Generation wird außerdem deutlich, dass die Dinge hier insofern bereits wieder anders liegen, als dass jene gerade nicht darauf zielt, eine Homogenität der damit bezeichneten Horizonte zu unterstellen. Auch darin dem Überbegriff der Postmoderne durchaus verpflichtet, eröffnet der Begriff Post-Soul bei Neal vielmehr eine irreduzible Pluralität und Differenziertheit Schwarzer Subjektivierungen, abseits von essentialisierenden Perspektiven, in denen kulturelle Identitäten Schwarzer Amerikaner*innen mit bestimmten Vorstellungen einer vermeintlichen Konsistenz ›Schwarzer (meist männlicher) Identität‹ gleichgesetzt werden.
Francesca T. Royster unterstreicht mit ihrer (Selbst-)Bezeichnung als »Post-Soul eccentric« (vgl. Royster, Francesca T. (2013): Sounding Like a No-No. Queer Sounds and Eccentric Acts in the Post-Soul Era. Ann Arbor: University of Michigan Press. S. 4.) noch einmal eben dieses heterogenerative Potential des Post-Soul-Generationsbegriffs. Ihre autobiographisch geprägte Adaption des Konzepts – die entsprechende Passage leitet sie ein mit einer Einpassung der eigenen Geburt in die Geschichte des civil rights movement – betrachtet Post-Soul wiederum von zwei Seiten: historische Periodisierung afro-amerikanischer bzw. afro-diasporischer Kultur(en) einerseits, ästhetische Diversifizierung der etablierten Motivik des Soul andererseits. »Soul privileges the natural over the artificial, the pure over the mixed.« (Ebd., S. 9.) Die (ver)queeren Performances Schwarzer Künstler*innen wie Meshell Ndegeocello, Prince, George Clinton oder Janelle Monáe, das zeigt Royster im Detail auf, verweigern sich ebensolcher eindeutigen Zweiwertigkeit und kultivieren an deren Stelle stetig wuchernde Ambiguitäten.
Die Kritik an fragwürdigen Authentizitäts-, Konsistenz-, oder Reinheits-Phantasmen, wie sie die kanonische Soul-Maschine weiterhin am Laufen hält, teilt Royster mit dem ersten Futurhythmatiker Eshun ebenso wie mit der mixologischen Philosophie eines Michel Serres oder einer maschinischen Theorie der Heterogenese bei Félix Guattari. But don’t hurry, keep the groove. Hybridität, Prozesshaftigkeit, fluide Identitäten, Polysemie, Fragment, Break, blablabla – auch das sind natürlich alles längst totgelaufene Floskeln postmoderner ästhetischer Theorie. Weil aber aus den Arsenalen altgedienter Avantgardismen nicht mehr viel zu erwarten ist, legen wir deren Texte beiseite und noch einmal eine Platte auf. Überhaupt, die family affairs, um die es doch eigentlich gehen sollte, sind etwas aus dem Blick geraten. Höchste Zeit also…
Der Backbeat klatscht mir mit voller Wucht direkt ins Gesicht. Freddie Stone grätscht mit seiner Wah-Wah-Gitarre dazwischen, während sein Bruder Sly mit einer unverschämt schmatzenden Basslinie die Viertel entlang trottet. Einen Takt nur, dann ist auch ihre Schwester Rose mit dabei. Klar, »It’s A Family Affair«, was denn auch sonst? Der hastende Groove macht es unmöglich, dieser Kommunion zu entkommen. Ein in schwebende Septimen eingepacktes E-Piano beginnt, sich im Kreis zu drehen. Dieses Klappern geht mir nicht… Plötzlich, nach dem ersten Chorus, steht Sly ganz vorne, sitzt mir beinahe auf der Schulter, krächzt direkt in mein Ohr: »One child grows up to be / Somebody that just loves to learn…« So weit, so gut, aber dieses Klappern? »Another child grows up to be / Somebody you’d just love to burn…« Abruptes Ende der familiären Glückseeligkeit. Der Sly auf meiner Schulter ist von einem Moment auf den anderen zum hämisch grinsenden Mephisto geworden, aber das ist natürlich viel zu faustisch gedacht. Wie auch immer, vielleicht zum ersten Mal, seitdem ich in dieses Ringelreihen von einem Familienfest hineingestolpert bin, gelingt es mir, das Gehör auf dieses Klappern, Zischen und Gluggern zu fokussieren, das da um den steten Backbeat herum schwappt. »Mom loves the both of them / You see it’s in the blood…« Das hier ist nicht die Family Stone von Stand! oder von Woodstock. Die Bläserlinien fehlen, Larry Grahams virtuos perkussives Slap-Bass-Spiel fehlt und von Greg Erricos funky Drumming ist erst recht keine Spur. »Both kids are good to mom / Blood’s thicker than the mud / It’s a family affair…« Der diabolische Tausendsassa Sly Stone besingt hier nicht nur doppelbödige Blut-ist-dicker-als-Wasser-Weisheiten, gleichzeitig zupft er den Bass, wechselt sich wohl mit Billy Preston am Piano ab und sitzt hinter dem Drum-Set, um mit einer Maschine um die Wette zu grooven.
»It’s a family affair…« Sly gründet mit seiner Rhythm-King-Funkbox eine stammbaumlose Multitrack-Familie. Während des spärlichen Gitarren-Solos ist die Maschine schließlich auch deutlicher zu hören. Sie zischelt schnelle, rauschige Sechzehntel in den Hintergrund, versieht die Eins und die Drei mit treibenden Vorschlägen und stimmt wahrscheinlich, nur schwer zu hören, auch in das Clave-Muster mit ein, das mit zusätzlicher Percussion darüber gelegt wird. Sly seinerseits ist mittlerweile in der zweiten Strophe angekommen, aber ich höre nicht mehr zu. Ich hänge mittendrin in diesem maschinischen Familienfunk und erst als der Text irgendetwas zusammenbrechen lässt, wird (mir) ganz langsam klar, dass es auch hier die ganze Zeit um einen solchen Zusammenbruch ging. Sly, Mephisto und Trickster, Staggerlee und vielleicht gar Legba, hat uns mit einem groovenden Taschenspielertrick in die vermeintliche Keimzelle humaner Assoziation gelockt – blood is thicker than the mud! – um all die blutigen Abstammungslogiken implodieren zu lassen. Familien-Angelegenheiten, wie er sie hier besingt, waren noch nie einfach, sondern immer hochkomplizierte, aufwändige Kollektivierung, immer Patchwork, immer fragil. ›Familie Machen‹ war immer schon ein ziemlich wackeliges Unterfangen, lief Gefahr in die eine oder die andere Richtung aus dem Ruder zu laufen. Die Family Stone ist dafür nur ein Beispiel unter unzähligen anderen. Sie bestand eben nicht aus selbstevidenten Verwandtschaften. Aber auch nicht aus der freien human(istisch)en Wahlgemeinschaft von Sly & Rose & Freddy & Cynthia & Jerry & Greg & Larry. Viel komplizierter noch woben sich deren Relationalitäten durch Hippietum und Soulpower, Psychedelik und Kokain, luxuriöse Wohngemeinschaften und vernebelte Studio-Sessions, Kampfhunde, Handfeuerwaffen, Flower-Power-Outfits, Liebesbeziehungen, Trennungen.
Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.
Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 256-264.