Listening Session #24

Das SP-1200 Aliasing

Genug der Märchen. Ich möchte diesen klirrenden SP-1200 Sound selber genauer unter die Lupe nehmen. Um einen vermeintlich objektiven Zugriff auf die klanglichen Eigenschaften der Maschine zu gewährleisten, erzeuge ich mir zunächst in einer gängigen Audio-Editing-Software einen Sinus-Sweep – einen einfachen Sinus-Ton, der in zwei Sekunden den Frequenzbereich von 0 bis 20 kHz von unten nach oben durchfährt. Einmal quer durch das menschliche Hörspektrum also. Ähnlich war David Yeh für sein Circuit Modelling Projekt vorgegangen und es leuchtet ein, dass anhand eines solchen Sweeps Aliasing-Frequenzen unmittelbar hörbar werden.

Ich sample also den Sweep in der SP-1200. Die zwei Sekunden Länge sind so gewählt, dass sie die maximale Länge von 2,5 Sekunden nicht überschreiten. Als ich das Sample dann über das erste Pad anspiele, höre ich erstmal wenig Bemerkenswertes. Der Sinuston rauscht immer noch weitgehend ungestört bis in den oberen Frequenzbereich. Allerdings ist doch deutlich auszumachen, dass er es nicht ganz so weit schafft wie der original Sound, den ich gesamplet hatte. Die Sample-Rate der Maschine beträgt, wie bereits beschrieben, krumme 26,04 kHz. Der Sweep läuft also deutlich über die entsprechende Nyquist-Grenze hinaus, die in diesem Fall bei 13,02 kHz liegt. Allerdings scheint, wie Yehs Schilderung bereits erwarten ließ, das Anti-Aliasing-Filter am Sample-Input der SP-1200 seine Aufgabe relativ gut zu erfüllen, den nicht sauber zu digitalisierenden Frequenzbereich gar nicht erst passieren zu lassen.

Ich höre den gesampleten Sweep jetzt noch einmal unter Kopfhörern. Wenn die Frequenz im oberen Bereich ankommt, höre ich eine Art Zwitschern, das nur minimal kurz aufblitzt, bevor der Ton verschwindet. Im Vergleich mit dem originalen Sound wird der Unterschied durchaus deutlich, bleibt aber alles in allem subtil.

Dann schalte ich per Taster in den Tuning-Modus der SP. An den Fadern kann ich jetzt die Samples in Halbtonschritten verstimmen. Insgesamt sechzehn Schritte sind möglich, sieben nach oben, die Grundstimmung, acht nach unten. Ich stimme meinen Sweep um nur einen Halbton herab, triggere ihn wieder auf dem Pad – und was eben noch ein einzelner Sinus-Ton war, hat sich plötzlich in eine ganze Reihe von Tönen vervielfältigt. Der ursprüngliche Sweep ist noch deutlich auszumachen, klingt aber jetzt zerrend und aufgekratzt. Vor allem aber ist ein zweiter, sirenenartiger Ton hinzugekommen, dessen Frequenz nicht gleich bleibt oder aber wie der Sweep in eine Richtung läuft, sondern wie durch eine Modulation hin und her schwingt. Ich stimme das Sample einen weiteren Schritt nach unten und das Klangbild verändert sich noch einmal. Wieder wird der kratzige Sweep durch eine Art Sirene ergänzt, die diesmal aber deutlich langsamer schwingt. Bei Stimmung um drei Halbtönen wird sie wieder schneller, jetzt flackern mehrere schnelle Sirenen übereinander. Bei vier Halbtönen scheint schließlich der Sweep selber frequenzmoduliert zu werden. In das Höhenband legt sich ein zerrendes Flirren. Fünf Schritte klingen wieder deutlich weniger verzerrt, sechs dafür umso mehr. Bei sieben Halbtönen höre ich, wie der Sinus-Ton am Ende wieder absinkt und in brutzelndem Noise verschwindet. Bei acht Halbtönen wird er wieder von mehreren frequenzmodulierten Tönen umspielt, ist kaum noch von ihnen zu unterscheiden.

Es hat etwas seltsam faszinierendes, diese Testtöne in der Maschine hin und her zu stimmen. Es wird auf diese Weise hörend durchaus nachvollziehbar, was den spezifischen Sound der SP-1200 ausmacht. Hier werden durch das Signal-Processing massiv neue Signalanteile erzeugt, offenbar komplexe Frequenzmuster, die den Klang radikal färben. Zugleich aber wird ebenso deutlich, dass ich gerade zu diesem Sound der SP an sich, der von so vielen Produzent*innen geschätzt und gefeiert wird, anhand dieser Testton-Spielerei keinen Zugang finden werde.

Spektogramme des gesampleten Sinus-Sweeps. Oben links der generierte Sweep, rechts daneben in der SP-1200 gesamplet in Original-Stimmung. Darunter von links nach rechts absteigend um je einen Halbton herunter gestimmt.

Bevor ich aber eine andere Sample-Quelle probiere, möchte ich diese Aliasing-Muster anhand der verstimmten Sweeps noch einmal genauer betrachten. Dafür nehme ich die unterschiedlichen Stimmungen wiederum im Rechner auf und lasse mir Spektogramme dazu anzeigen. An diesen wird konkret sichtbar, was ich eben noch vage als Höreindruck beschrieben habe: Bereits bei dem Sweep in Originalstimmung ist deutlich eine Aliasing-Frequenz zu erkennen, die sich aus der Spiegelung des steigenden Sinus-Tons an der Nyquist-Grenze ergibt. Im Sample selber wurde die kaum hörbar. Das kurze Zwitschern, das ich bemerkt hatte, markiert wahrscheinlich die Kreuzung der beiden Frequenzen und das Absinken der Aliasing-Frequenz in den Hörbereich. Die anderen Aufnahmen der herunter gestimmten Sounds zeigen allerdings deutlich komplexere und jeweils charakteristische Aliasing-Muster. Was ich eben als frequenzmodulierte Sirenen-Sounds gehört habe, wird hier als solche Musterbildung durch vielfache Spiegelung der Ausgangs-Frequenz erkennbar. Die Spektogramme machen auf eine direkte Weise ansichtig, wie sehr gerade im Vergleich zum aufgeräumten Ausgangssignal die Energie hier anders im Frequenzbereich verteilt wird und wie massiv also dieses Aliasing durch Pitch-Shifting in den Klangcharakter eingreift.

Aber noch einmal: Dem legendären Sound der SP-1200 bringt mich auch die grafische Wohlgeordnetheit dieser Aliasing-Muster – an der übrigens Joseph Schillinger wohl seine mathematische Freude gehabt hätte – nicht näher. Dafür muss besser geeignetes Sample-Material gewählt werden. Ich entscheide mich für das Stück »On The Hill« des Saxofonisten Oliver Sain.[1] Nicht (nur), weil ich dieses Stück an sich so toll finde, sondern vor allem, weil ich weiß, dass es die Sample-Quelle für »Day One« war, einen Track der New Yorker Rap-Crew D.I.T.C. (kurz für Diggin’ In The Crates),[2] der einen wunderbar lässigen Vibraphonschlenker loopt. Und Vibraphon-Samples klingen einfach immer gut in der SP.

Schnell habe ich den gesampleten Part gefunden. Allerdings ist besagter Schlenker, der im Beat von D.I.T.C. die Eins spielt, hier gar nicht der Beginn des Loops, sondern steht mitten darin. In Ableton Live schneide ich alles in die entsprechende Reihenfolge und baue den Loop so zurecht, wie ich ihn aus dem Track in Erinnerung habe. Die geloopten zwei Takte sind beinahe sechs Sekunden lang, keine Chance also für den begrenzten Speicher der SP-1200. Aber da es mir ohnehin darum geht, das Pitch-Shifting auszuprobieren, kommt mir das sogar gelegen. Ähnlich wie es oben als gängige Praxis beschrieben wurde, die Sample-Quelle auf dem Plattenspieler zu beschleunigen, um so mehr wertvolle Sekunden in den Sample-Speicher zu pressen, stimme ich das Sample in der Software um sechs Halbtöne nach oben. Der Loop ist jetzt deutlich schneller. Noch einmal in zwei Stücke zu je einem Takt geteilt, ist jedes nur noch knapp unter zwei Sekunden lang und es kann losgehen. Die beiden Takte sample ich in der Maschine und füge sie dann schnell per Sequenz wieder als Loop zusammen. Das Tempo des beschleunigten Samples liegt jetzt bei knapp 119 BPM. Viel zu schnell also. Und auch der Klangeindruck ist, wie zu erwarten, noch kaum verändert im Gegensatz zum Ausgangsmaterial im Rechner. Als nächstes stimme ich das Sample also wieder um sechs Halbtöne herunter, um es so ungefähr auf die Ausgangsgeschwindigkeit zu bringen. Der Sound ändert sich sofort.

Der gesamplete Loop bei 119 BPM
Der gesamplete Loop bei 84 BPM

Vor allem die Vibraphon-Noten ziehen jetzt zuckrige Fahnen aus Aliasing hinter sich den Loop entlang. Die angefunkte Bassline ist definierter zu hören als im Ausgangsmaterial, was auch damit zusammenhängt, dass das Mono-Sampling der Maschine alles im Zentrum zusammengerückt hat. Der Sound hat deutlich an Transparenz verloren – oder aber positiv: Er hat an Dichte gewonnen. Das Aliasing legt sich dick und breit über das Sample, zerrt an den Mitten und lässt die Höhen klirren. Das Tempo liegt jetzt bei 84 BPM. Ich pitche das Sample wieder einen Schritt nach obern, loope es und lande bei ca. 89 BPM. Das müsste ungefähr die Stimmung sein, die auch D.I.T.C. benutzt haben. Das Aliasing fällt hier deutlich subtiler aus, was dazu passt, dass anhand des Spektogramms zu sehen ist, dass bei einer Stimmung um fünf Halbtöne nach unten, das Muster im Vergleich zu anderen Stimmungen reduzierter ausfällt.

Der gesamplete Loop bei 89 BPM

Das Sample stimme ich noch etwas hin und her, probiere verschiedene Tempi aus und schicke es durch das dynamische SSM2044-Filter. Dann aber lande ich immer wieder bei dem Loop in Ausgangsgeschwindigkeit, lasse ihn lange laufen und nicke dazu mit dem Kopf, wie es sich gehört.

Das Aliasing als Eigenklang der Maschine. Die einstige Störung als Charakteristikum. In der SP-1200 ist genau das zu hören. Der Vibraphon-Loop aus dem Sampler hat einen deutlich spezifischen Sound verpasst bekommen, der gerade aus den technischen Eigenschaften der digitalen Hardware resultiert. Deren rudimentäres Signal-Processing färbt ab auf den Klang und wird gerade dadurch zur genuin technoästhetischen Größe. Eine Unterscheidung zwischen ›technischer‹ und ›ästhetischer‹ Ebene ist hier nicht mehr möglich. Im klirrenden Aliasing falten sich beide ineinander.

Solches Aliasing ist in der SP-1200 keine technische Störung mehr, sondern das Produktiv-Werden digitaler Uneindeutigkeit. Paradoxe Umkehrung: Digitaler Sound, der ja gerade auf dem Prinzip der eindeutigen Vermessung und Quantisierung eines Signals für die anschließende Rekonstruktion basiert, wendet sich technoästhetisch, indem gerade das Versagen dieser eindeutigen Rekonstruktion ästhetisch erfahren wird. Aus den Zwischenräumen der gedroppten Sample-Werte kriecht hier ein Bereich an Unbestimmtheit in das Digitale zurück, den dessen vermeintliche Transparenz eigentlich vergessen machen will. Der zuckrige Sound der SP aber lässt anklingen, dass auch das Digitale mehrdeutig sein kann. Und dass diese Mehrdeutigkeit im Zweifelsfall ziemlich gut klingt.

Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.

Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 517-521.