Listening Session #5000

Darsha Hewitt – A Sideman 5000 Adventure

»Check it out people. Sideman is a full on electro-mechanical creature of wonderment.« Es ist 2015 und der mittlerweile ein gutes halbes Jahrhundert alte Sideman hat nichts von seiner wundersamen Faszination verloren. Die Medienkünstlerin Darsha Hewitt steht in ihrer Werkstatt, hinter sich Lötkolben, Messgeräte und Bauteile. Gerade hat sie das hölzerne Gehäuse ihres Sideman abgehoben. Jetzt lässt sie den Tempo Wheel kreisen, dreht langsam den Verstärker auf. Es dauert noch etwas, bis die ersten Drum-Sounds zu hören sind. Das System muss erst warm werden.

In dem Werkstattbericht-Video, das ich mir ansehe, präsentiert Darsha Hewitt ihr Projekt A Sideman 5000 Adventure. Zuvor hatte die Künstlerin in irgendeinem dunklen Hamburger Keller diese schon etwas in die Jahre gekommene Maschine aufgetan. Sie war in keinem guten Zustand, spuckte nur noch ächzende Sounds aus, einige der Taster hatten sehr gelitten. Hewitts besondere Affinität zu vorschnell als obsolet abgetanen elektronischen Technologien zieht sich durch all ihre Arbeiten wie der bunt schillernde Kabelstrang durch die Klangerzeugung des Sideman. Fasziniert von dessen geradezu barocker Elektromechanizität, nimmt sie sich dann auch dieser eigentlich doch längst vergangenen Maschine an.

Darsha Hewitt restauriert also mit großer Sorgfalt ihren Sideman 5000, den sie bevorzugt in der vollen Pracht seiner ordentlich durchnummerierten Typenbezeichnung anspricht. Aber – das wird bereits in den ersten Momenten ihres Videos deutlich – dabei geht es ihr nicht einfach darum, die Maschine wieder in Stand zu setzen. Mangels verfügbarer technischer Dokumentation über »the inner workings of sideman« arbeitet Hewitt sich auf der Suche nach defekten Bauteilen und losen Leitungen kreuz und quer durch das farbenprächtige Schaltungsdesign. Statt der gezielten Restaurierung steht vielmehr genau diese minutiöse Auseinandersetzung mit der Technologie im Fokus ihres Projekts. Es sind zunächst vor allem ihr Staunen über und ihre Begeisterung für die vielen abseitigen Details des technischen Aufbaus des Sideman, die das Video festhält. Etwa dann, wenn sie über den Linemans Knoten spricht, der den Kabelstrang zwischen Pattern Selector Switch und der Klangerzeugung zusammen hält – und der, so Hewitt, auch auf dem Mars Rover zum Einsatz kam. Sonic Fiction 5000: Der Sideman startet schon 1959 das futurhythmaschinische Weltraumprogramm, bereitet die kommende Landung auf Planet Rock vor. Oder auch, wenn sie sich über die unerwartete Schönheit eines kleinen Kondensators, versteckt in der Verstärkerleiste am Boden des Gehäuses, freut: »Right here, we have a really beautiful little capacitor.«

Diese teils überschwänglichen Reaktionen auf all die technologischen Eigentümlichkeiten des Sideman sind Teil des Programms. Darsha Hewitt scheint kein großes Interesse daran zu haben, hier in stummer Ergriffenheit vor einem Monument der Technikgeschichte zu verharren. Meet The Machine. Sie will der Maschine begegnen – und das heißt vielleicht auch, »sich von Prozessen fesseln und gefangennehmen zu lassen, die davonlaufen und diejenigen mitnehmen, die in sie verwickelt sind.« (vgl. Plant, Sadie (1998): nullen + einsen. Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien. Berlin: Berlin Verlag. S. 70) Hewitt jedenfalls lässt sich verwickeln in den verwirrenden Kabelsalat und die staubig glimmenden Röhrenschaltungen. Sie präsentiert den Sideman nicht einfach als technische Kuriosität, deren Funktionieren sie mit großer ingenieurischer Geste offenlegt. Sondern sie begegnet ihm als einem technischen Gegenüber, von dem sie und wir etwas lernen können. Das ist ihr Sideman 5000 Adventure: Sich darauf einzulassen, was diese Maschine – ihr stolperndes Cha Cha-Pattern, ihre klirrenden RC-Filter – uns zu erzählen hat. Futurhythmaschinische Pädagogik: Bei Hewitt wird der Sideman auch als epistemische Agency ernstgenommen, die eigene technik/kulturelle Erkenntnisprozesse anleitet.

»What’s also wonderful, is: as a way of getting to learn about how circuits and hardware works, nothing beats [the sideman]. I mean, you can see all the connection lines, the resistors are giant.«

Darsha Hewitt

Die (mit Simondon gesprochen) noch so abstrakte Rhythmus-Maschine gibt eine Einführung in analoge Elektronik. Und ein kleiner gelber Werkstattkollege von Darsha Hewitt, ein Plastikroboter namens Robi, erklärt in bester Stop-Motion-Manier die Grundlagen der Klangsynthese mittels resonierender Filter. Gerade die vergangenen, die obsoleten, die kuriosen technischen Objekte selber können uns hier etwas lehren über unsere hochtechnisierte Gegenwart. Hewitts Sideman-Abenteuer hat, wie viele ihrer weiteren Arbeiten auch, in genau diesem Sinne einen ganz konkreten Bildungsanspruch: Sie macht sich und uns, das Publikum, mit der Elektronik vertraut, indem sie die einzelnen Wissensbestände herausbastelt, die in der Lautsprecherspule mitschwingen oder in den Röhren glühen.

In ihrer heterochron verwobenen feministischen Computer-Geschichte Nullen + Einsen entwickelt Sadie Plant einen Begriff von Engineering, der eher auf Erfahrungswisssen, auf routinierte Umgangsweisen und auf eine ganz handgreifliche Vertrautheit mit der Technologie hinausläuft, denn auf das formularische Wissen der Schaltpläne. Darsha Hewitts Sideman-Abenteuer ist Engineering in eben diesem Sinne: Hier wird ein technisches Wissen entwickelt, das nicht mehr auf die größtmögliche Beherrschung eines als passiv verstandenen Werkzeugs zielt. Die Werkzeugmetapher, so Plant, liefere ohnehin kaum eine angemessene Beschreibung technischer Konstellationen, sondern vor allem weise sie auf grundsätzlich darin implementierte Machtbeziehungen hin:

»Dieses grobe Modell von Benutzer und Benutztem diente in der modernen Welt als Legitimation für wissenschaftliche Projekte, koloniale Abenteuer, geschlechtliche Beziehungen und sogar künstlerische Bestrebungen. Es durchdringt weiterhin den Einsatz noch der komplexesten Maschinen.«

Plant, Sadie (1998): nullen + einsen. Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien. Berlin: Berlin Verlag. S. 85.

Sideman 5000 ist ganz offensichtlich kein Werkzeug, dessen Hewitt sich schlicht bedienen könnte. Schon seine anthropomorphe Bezeichnung lässt ihn viel mehr in eigenem Namen auftreten. Die Künstlerin spielt zwar immer wieder auch mit diesem plakativen Anthropomorphismus, aber ihr Umgang mit der Technologie geht darüber hinaus. Die Ebene, auf der sie dem Sideman begegnet, ist nicht die des Automaten als einer menschelnden Maschine. Die (neue) Agency, die dem Sideman bei Darsha Hewitt zukommt, besteht nicht darin, dass er versucht, wie menschliches Trommelspiel zu klingen. Sondern darin, dass er gerade die Technizität dieser Menschelei – zumal bei abgehobenem Gehäuse – noch so offen zur Schau trägt; dass er etwas zu erkennen gibt.

Darsha Hewitt fackelt derweil in Zeitlupe den Glühdraht einer beschädigten Eimac-Elektronenröhre ab, um thermionische Emission zu erläutern. Ebenso schnell wie den glimmenden Draht verpulvert die kurze DIY-Einführung in Elektronik, die der Sideman und sie hier unternehmen, ein paar ohnehin längst überholte Klischees technischen Wissens; allen voran dessen vermeintlich saubere Trennung von ästhetischer Praxis. An keiner Stelle ließen sich Kunst- und Vermittlungs-Projekt noch trennscharf auseinanderhalten. Die falsche Erhabenheit ingenieuristischen Expertentums lässt das Sideman/Hewitt-Engineering-Kollektiv nicht mehr gelten. Ebenso wie die übrigens kaum weniger ›männlich‹-besetzte Erzählung vom einsamen Bastler-Genie. Es sind am Ende vielleicht auch diese beiden Groß-Narrative ›technischer‹ Subjektpositionen, die hier – ganz nebenbei – auseinander gebaut werden. Noch einmal solche obsoleten Techno-Logien; schlecht gealtert im Gegensatz zum Sideman.

Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.

Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 168-172.