Listening Session #22

Ultramagnetic M.C.’s / Paul C – Give The Drummer Some

»I still got a SP-1200 in my house today. We can go to my house right now, it’s an SP-1200, ’cause that’s what he [Paul C] taught me on. You know, that machine is classic within itself but […] it’s like, lettin’ my man know I’m still focused. I got the SP-12[00] in the crib and to me that’s like a James Brown record. Play the James Brown record […] or cut on the SP-1200, it’s the same feeling.«

Rakim

»Switch up! Change my pitch up!« Der Rapper Kool Keith frisst mit seinen ätzenden Vocals ein Loch in das Mittenband des Loops. »Smack my bitch up! Like a pimp…« The Prodigy werden unter anderem aus dieser Linie neun Jahre später ihren kontroversesten Hit zusammenschichten, aber das ist wieder eine andere Geschichte. Platte zurückdrehen, noch mal der Drumloop.

Der Track »Give The Drummer Some« vom 1988er LP-Debüt Critical Beatdown der Rap Crew Ultramagnetic MC’s startet mit einem eintaktigen Drumpattern. Ungefähr 108 BPM, eine bauchige Snare auf zwei und vier, Kick auf Eins, 2-und-e, 3-und, 4-und. Soweit, so klassisch. Auch die Sample-Quelle für diese Drums ist schnell gefunden: The Dee Felice Trio, »There Was A Time«, eine James Brown Produktion, erschienen 1969 auf Betlehem Records (das verwendete Sample stammt allerdings aus der Version, die auf der James Brown LP Gettin’ Down To It (King Records 1969) zu hören ist). Die Drums sind direkt zu erkennen, nach dem ersten Takt schließt der Drummer die HiHat und spielt ziemlich genau das Pattern, das auch auf dem Ultramagnetic MC’s-Track zu hören ist. Und trotzdem kann da etwas nicht stimmen. Die Dee Felice-Drums stehen an keiner Stelle der Aufnahme frei sondern werden stets mindestens von einem einfachen Bass-Lick begleitet. Auf »Give The Drummer Some« aber ist dieser Bass plötzlich verschwunden.

Was ist passiert? Es geht hier immerhin um eine Produktion aus dem Jahr 1988, also lange bevor digitale Audio-Editing-Tools wie Celemonys Melodyne das nachträgliche Löschen einzelner Instrumentenstimmen aus einer Stereosumme möglich werden lassen. Ein Blick in die Liner Notes verrät Paul C als Produzenten des Tracks und über das Rätsel, wie dieser von der Dee Felice Trio-Platte einen sauberen Drumloop samplen konnte, haben sich bereits andere prominente Samplechirurgen den Kopf zerbrochen. Etwa der Soul Brother No. 1, Pete Rock:

»I always listened to ›Give The Drummer Some,‹ trying to figure it out. I thought maybe he (Paul C) knew someone at Polygram that had James Brown’s reels. There’s no way in the world he could sample (Dee Felice) and take the sounds out. Those are the illest drums I ever heard.«

Pete Rock zit. n. Tompkins, Dave (2004): »Return To The World As A Thought«.

Ende er 80er Jahre arbeitete der Sound-Engineer und Produzent Paul ›C‹ McKasty in den 1212 Studios in Queens, New York. Er leitete Sessions und produzierte Tracks für die verschiedensten Teile der umtriebigen New Yorker Rap-Szene wie Casanova Fly, Double Delight oder Super Lover Cee & Casanova Rud. Zusammen mit Rapper Mikey D und DJ Johnny Quest veröffentlichte er als Mikey D and the LA Posse. Das Demotape der Crew STP (Simply Too Positive, später Organized Konfusion), das er produziert hatte, seine Production Credits auf dem Album der Ultramagnetic MC’s, spätestens aber die dritte Studio-LP von Eric B. & Rakim Let The Rhythm Hit’Em, deren Produktion er vorbereitete, hätten sein endgültiger Durchbruch werden sollen. Dann aber wurde Paul McKasty im Juli 1989 im Schlaf erschossen. (Vgl. zur kurzen aber gewichtigen künstlerischen Laufbahn von Paul C  ausführlich die Arbeiten von Dave Tompkins und Gino Sorcinelli, sowie die Film-Dokumentation von Pritt Kalsi.)

Die Rede von Paul C aber läuft bis heute wie eine Art Ghost Track durch die HipHop-Producer-Szene. Seine Name markiert eine Leerstelle. »Paul C is the most influential producer you’ve never read about.« (Tompkins 2004) Ein offener Kanal am Mischpult, an dem kein Signal mehr anliegt. Verheißungsvolles Rauschen. Auf der Rückseite von Breaking Atoms, der 91er Debüt-LP der Rap-Crew Main Source, heißt es: »Paul C Lives«. Producer-Legende Large Professor, Hauptfigur von Main Source, war Paul C’s wichtigster Schüler an der SP-12. Im gekonnten Sample-Chopping seines Protegés lebt der Lehrer fort. Geisterhaftes Knistern. Metaphysics of Crackle.

»Hauntology is the proper temporal mode for a history made up of gaps, erased names and sudden abductions.«

Fisher, Mark (2013): »The Metaphysics of Crackle. Afrofuturism and Hauntology«. In: Dancecult: Journal of Electronic Dance Music Culture, 5 (2). S. 42-55.

Mark Fishers Konzept einer sampladelischen Hauntology muss um 15 Jahre vorverlegt und noch einmal umgebogen werden, wenn die Zukunft der Breakbeat-Science vielleicht schon 1989 gestorben ist. Aber dazu kommen wir später, zuerst noch einmal die scheinbar so einfache Frage: Was war passiert? Wie kommen diese Dee Felice Drums auf die Ultramagnetic-Platte? Large Professor erklärt: »Paul C panned the record, then he just flipped out on the programming. It was crazy.« (Zit. n. Tompkins 2004) Bewundernd verzieht der Schüler noch immer das Gesicht, wenn er sich erinnert, wie sein Mentor einfach nur den rechten Kanal der Platte in seiner SP-1200 samplete, auf dem die Drums weitestgehend unberührt von dem Bass spielten, den es auf die linke Seite verschlagen hatte. Mit knapp dreißig Jahren soundkulturellem Abstand mag es fast ein wenig trivial klingen, die beiden Stereokanäle einer Aufnahme getrennt von einander zu samplen, um so bestimmte Sounds – hier: die Drums – besser isolieren zu können. Dass aber Paul C der erste war, der diese Technik genutzt hat, um endlich an zuvor unerreichbare – weil durch Bass oder Bläser verstellte – Breakbeat-Drums zu kommen, ist bis heute fester Bestandteil der kanonischen Beatmaking-Mythologie. Ultramagnetic M.C.’s Ced Gee:

»That was one of the things Paul showed me: sometimes the drums would be clean on one channel, so you have to pan the sound. You have to pan the drums on the Dee Felice Trio record to get the sample we used in Give The Drummer Some. Once we started panning records, it was crazy.«

Ced Gee zit. n. Batey, Angus (2004): »Ultramagnetic MC’s – Critical Beatdown: An Oral History«

Nachdem Marley Marl erst kurz zuvor über die Möglichkeit gestolpert war, die einzelnen Drum-Sounds einer Platte zu samplen, neu zu kombinieren und zu eigenen Patterns zu programmieren, ist Paul C, so die Erzählungen, der erste Virtuose dieser neuen musikalischen Praxis. Er dekonstruiert das ehemals ganzheitliche Objekt ›Platte‹ immer weiter, dringt tiefer in den Break hinein, verfeinert die Apparatur, indem er nicht nur die Truncate-Funktion seines Samplers nutzt, sondern auch Panning und Equalizing, indem er versucht kleinste Einheiten – in der Zeit wie im Frequenzbereich – zu isolieren, um sie zu seinem Material zu machen.

»Paul C. was an extreme sound scientist, and this [the panning of the Dee Felice record; MP] may be the most prime example of his futuristic approach.«

Large Professor zit. n. Edwards, Paul (2015): The Concise Guide To Hip-Hop Music. A Fresh Look at The Art of Hip-Hop, From Old-School Beats to Freestyle Rap. New York: St. Martin’s Griffin.

Das Panning des Breaks mag simpel erscheinen, es macht aber gerade in dieser Einfachheit deutlich, wie entscheidend Paul C’s neue Konzeptualisierung des phonographischen Materials, der Schallplatte, die Breakbeat-Science bis heute prägt. Bereits Marley Marl und noch davor die DJs der Block-Parties hatten erkannt, dass die in Vinyl gepressten kulturellen Archive, die sie in ihren Plattenkisten herum schleppten, produktiver Ausgangspunkt eigener kultureller Praxis sein konnten, dass sie in Form von Breakbeats und Samples genuin ästhetisches Material waren. Paul C nun fügt diesem Material neue Dimensionen hinzu, indem er deutlich macht, dass die einzelne Platte immer schon eine Vielheit ist, dass immer schon mehr als nur der eine Break darauf schlummert. Jede Stereo-LP besteht bereits aus zwei parallel laufenden klanglichen Wirklichkeiten, übereinander geschichtet in just so vielen Frequenzbändern, wie der Equalizer trennen kann. Diese Heterogenität, die in der Materialität des Vinyls zusammengehalten wird, lässt sich immer feiner zergliedern – angefangen bei einem einfachen Dreh am Panorama- oder Frequenzregler. Paul C’s Weggefährte CJ Moore erinnert sich:

»Paul would do things EQ-wise that most people wouldn’t do. He would widen the kick. He was the first one to teach me how to use the compressor properly. […] We took the 808 Kick Drum and ran it through the DBX 160 [Compressor], … You couldn’t stand in front of that speaker. Monsterous! Monsterous! The guys in Miami [doing] the bass records and everything – couldn’t handle the shit we was doin’. And we was makin’ regular kick drums, ›Funky Drummer‹-kick drums, sound like it was an 808 and we would attach tones to it. We had so many tricks. It was incredible. Paul was a phenomal dude, man!«

CJ Moore zit. n. terrytees // youtube (2013): »Memories of the Late Great Paul C McKasty«

An anderer Stelle beschreibt er diesen fundamentalen Eingriff in das phonographische Material als technoästhetische Verschiebung des Sounds entlang einer klanghistorischen Zeitachse. Das Samplematerial aus den staubig knisternden 60er- und 70er-Jahren wird mittels Equalizer in die psychoakustisch geupdatete Jetztzeit der 90er transferiert:

»We would add an 808 kick to the loop, and then repeat that real low with a 909 underneath the loops to re-enforce the kick drums, to give it the bottom, to give it the bass and the body. You’re hearing the loops, ›That’s Impeach The President, that’s Funky Drummer.‹ But we added these integral parts so it took it away from the era it came from in the 60’s and 70’s and brought it to the 90’s where it was heavy. […] Some of those things that we don’t get credit for, for understanding the technology and manipulating it the way that we did.«

CJ Moore zit. n. ebd.

Spätestens hier wird noch einmal in aller Schärfe das seit jeher problematische Verhältnis deutlich, das HipHop-Sampling zu allen linear funktionierenden Modellen historischer Zeit unterhält. Der Sampler ist immer schon ein »Anachronizer, der die Zeit derealisiert« (Eshun, Kodwo (1999): Heller als die Sonne. Abenteuer in der Sonic Fiction. Berlin: ID. S. 65). Wobei sich genauer formulieren ließe: Der Sampler ist ein Anachronizer, der zeitliches Multitracking, Heterochronizität, realisiert. »Incredible, come in three dimensions / Parallel with the funky extensions!«, rappt Kool Keith während der Track auf sein Ende hinausläuft. »I’m Kool Keith running rap’s conventions on time – like, give the drummer some!« Der letzte Quasi-Refrain setzt ein, James Brown wird gescratcht, und erst jetzt beim wiederholten Hören wird mir klar, dass hier nicht ein – Frank Vincent vom Dee Felice Trio – sondern mindestens zwei Drummer spielen: Clyde Stubblefield, der original ›Funky Drummer‹, spielt seinen berühmtesten, namensgebenden Break immer wieder in den Refrain, in die Off-Beats des polternden Dee-Felice-Loops hinein. Allerdings sind es immer nur Fragmenten, der Funky Drummer groovt, aber er spielt seinen Break nie zu Ende. Kool Keiths Raps klingen wie eine Erläuterung: Mehrspurig parallel laufende funky extensions erweitern das Phantasma einer schlichten phonographischen Abbildung dreidimensionaler Echtzeit. »Now, give the drummer some.« An den Tastern seiner SP-12 flechtet Paul C die Ungleichzeitigkeit dieser doppelten Portion Funkyness filigran ineinander, lässt ihre Mikrorhythmik übereinander stolpern, schmeißt Fetzen an Rhythmus-Gitarre dazwischen, die in ein Delay hinab purzeln. Während bei Marley Marl der klassische »Impeach«-Break noch als eine Art Soundspeicher für sein Drum-Machine-Programming fungiert, zergliedert Paul C Dee Felice und den Funky Drummer in ihrer Mikrozeitlichkeit, um diese sampladelisch neu zusammenzusetzen.

»That’s what Paul C brought to hip-hop: the chop.«

Large Professor zit. n. Tompkins 2004

To chop – Samples zu schneiden, heißt nicht einfach ›Zeit schneiden‹. Sondern genauer: Es hieße, die Situation der digitalen Unterminierung zeitlicher Kontinuität, die Aufreihung der ›Echtzeit‹ menschlicher Wahrnehmung als Folge diskrete Abtastwerte, ästhetisch ernst zu nehmen und durchzuarbeiten. Paul C hat früh ein solches ästhetisches Programm entworfen, das er – ob seines tragischen Tods – nicht weiter ausarbeiten konnte –, und das bis heute den Sampling-Diskurs nicht aufhört heimzusuchen. Verlorene Zukunft der Breakbeat-Science?

Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.

Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 488-494.