Listening Session #18

Leon Russell – Life And Love (LP)

Die Track Credits auf der Rückseite von Leon Russells 79er LP Life And Love sind verräterisch: Ganz oben steht in großen Lettern Russell selbst als Producer. Weiter unten wird dann Roger Linn als Co-Producer und Engineer genannt. Kurz darunter werden die Verantwortlichkeiten der Drum-Spuren geklärt. »Drums: Linn/Moffett Electronics«. Leon Russell wird wohl eine frühe Version der Maschine seines Gitarristen abgestaubt haben, um sie bereits 1979 auf seinem Album spielen zu lassen. Life And Love muss damit eine der frühesten veröffentlichten Aufnahmen sein, auf denen Linns LM-1 zu hören ist. Ich lege also die Platte auf und gehe davon aus, die ikonischen Sample-Sounds der LM-1 auf den Rhythmus-Spuren zu hören, die ich von so vielen anderen Platten bereits kenne. Aber es kommt anders.

Bereits der erste Song »One More Love Song« lässt keinen Zweifel daran, dass hier eine Maschine den Takt schlägt. Aber unter den etwas sehr luftig gemischten Klavier-Akkorden dieser poppigen Blues-Ballade sind keinesfalls die LM-1-Sounds zu hören, die ich so sicher erwartet hatte. Das hier sind doch keine digitalen Samples. Die Drum-Spur klingt eher nach analogen, synthetischen Sounds. Die prägnante Snare klingt kurz und druckvoll, erinnert vielleicht ein wenig an den Sound der Roland TR-808. Die Kick-Drum ist eher dünn gemischt, ohne allzu viel Subbass-Frequenzen und hat eine schmatzige Attack. Beide spielen ein simples Backbeat-Pattern. Dazu shuffeln links und rechts im Panorama Shaker-artige Sounds durch die Sechzehntel. Bei denen wiederum bin ich mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob sie nicht doch gesamplet sind. Nach einigen Takten kommt in der zweiten Strophe ein Handclap dazu und beklatscht den Backbeat. Der klingt nun wieder eindeutig nicht nach der rauschenden Klangerzeugung analoger Maschinen, sondern poltert schon ein wenig in die Richtung des Sounds, den Prince an seiner Linn-Maschine später berühmt machen wird.

Ein wenig verwirrt setze ich die Nadel auf den nächsten Song. »You Girl« ist eine glasklar gemischte Uptempo-Nummer und lässt bereits 79 das Soundbild der kommenden 80er anklingen. Das durchaus funky Hauptriff ist aus mehreren Gitarren-Spuren zusammen geschichtet, die durch den Mix beinahe nach einem Clavinet klingen. Später webt sich noch eine ebenfalls eng geschichtete Bläserlinie dazwischen. Alles klingt dicht gepackt. Der Mix verzichtet vollständig auf größere Räume. Die Basslinie, die anfangs noch vom Klavier gedoppelt wird, scheint aus einem Synthesizer zu stammen und könnte angesichts ihrer Regelmäßigkeit gut von einem Sequencer gespielt werden. Alles wird von Drums am Laufen gehalten, die ganz ähnlich klingen, wie im Stück zuvor. Sie sind im Detail anders gemischt, die Snare etwa ist deutlich zurückgenommen. Auch der Clap ist wieder da, klingt hier aber höher gestimmt. Die kurzen Shaker- oder Hat-Sounds sitzen wieder ganz an den Seiten des Stereobilds und haben etwas zwitscherndes. Noch während ich überlege, welche Sounds hier ›analog‹, welche ›digital‹ klingen, endet der Song nach knapp dreieinhalb Minuten, indem er in einem (offen hörbar) digitalen Delay versinkt.

Der nächste Song – »Struck By Lightning« – klingt deutlich aufgeräumter. Bluesiges Piano und Gitarre – beides wieder einmal mit etwas sehr viel Höhenband versehen – werden bald durch die obligatorische Mundharmonika ergänzt. Dazu wieder diese verwirrenden Drums. Ist die Kick-Drum nicht vielleicht doch ein Sample? Die Snare jedenfalls nicht. Ich bin ratlos. Ganz offenbar haben Leon Russell und sein erfinderischer Engineer und Gitarrist Roger Linn während dieser Aufnahmen auf ein Gerät zurückgegriffen, das noch nicht die LM-1 war, wie sie später auf so vielen weiteren Platten zu hören sein wird. Das hier muss ein Prototyp sein. Einer von Linns rhythmaschinischen Pappkartons. Dass aber diese Prototypen bereits ›auf Platte‹ nachzuhören wären, habe ich bisher nirgendwo gelesen. Bei Roger Linn nachgefragt, der über seine Arbeit gerne und freundlich Auskunft gibt, bestätigt sich meine Vermutung:

»Regarding Live & Love, yes that’s my original drum machine prototype based the COMPAL-80. I didn’t actually do any production on that album but rather only engineering on I think ›Struck By Lightning‹, but maybe other tracks also. I don’t remember. Here’s what happened: I showed my original drum machine prototype to Leon about the time he finished Life & Love. He said he wanted to buy one and I told him I only had one prototype. Then he said that if I made another prototype for him, he would pay a lot for it plus give me co-producer credit on Life & Love. I said yes. Then in typical Leon fashion, the album cover printing showed ›Producer: Leon Russell‹ in huge text and ›co-producer and engineer: Roger Linn‹ in tiny text.«

Roger Linn

Die Maschine, die auf dieser Platte spielt, ist also wirklich ein Prototyp. Wahrscheinlich handelt es sich bei den Songs auf der LP um die einzigen veröffentlichten Aufnahmen dieses Wendepunktes in der futurhythmaschinischen Genealogie: Hier ist Roger Linns Programming-Interface bereits zu hören. Die Patterns klingen deutlich anders als die Presets der Orgel-Maschinen, zurückgenommener und reduzierter. Aber die Sounds sind noch nicht die Samples der LM-1. Sie scheinen teils dem von Linn verwendeten analogen Roland-Board zu entstammen (die Snare, die Kick), teils vielleicht ein digitales Delay oder ähnliches zu triggern (der Clap, die Shaker). In jedem Fall ist hier noch die uneindeutige, hybride Herausbildung einer Maschine zu hören, die es noch nicht gibt. Auf dieser Platte klingt eine Futurhythmaschine an, deren Zeit erst noch kommen wird.

Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.

Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 379-382.