Listening Session #3

Graham Central Station – The Jam

Last Stop: Graham Central Station. Zeitsprung ins Jahr 1975. Soviel Zeit muss sein. Ain’t No ’Bout-A-Doubt It ist das dritte Studio-Album der Band um den Bassisten Larry Graham. Der hatte nur wenige Jahre zuvor Sly & The Family Stone verlassen, aber das wird später noch Thema sein. Während die Maschinen in diesem Kapitel sich so anheimelnd menschlich gegeben haben, ist Larry Graham so etwas wie eine menschliche Rhythmus-Maschine am Bass. Bevor Sly Stone ihn für seine Band engagierte, spielte er noch als Sideman seiner Mutter, einer Sängerin und Pianistin. Zuerst abwechselnd an Orgel und Gitarre, als aber die Orgel kaputt ging, wechselte Graham an den Bass und entwickelte daran eine ganz eigene, perkussive Spieltechnik:

»[I] would thump the strings with my thumb to make up for the bass drum, and pluck the strings with my fingers to make up for the backbeat snare drum, […]« (Larry Graham zit. n. Kaliss, Jeff (2008): I Want To Take You Higher. The Life And Times Of Sly & The Family Stone. Milwaukee: Backbeat Books, S. 38.)

Dieses Bassspiel ist bereits zu Beginn von »The Jam«, dem ersten der Tracks des Ain’t No ’Bout-A- Doubt It-Albums, deutlich zu hören: Zwei Takten mit lang gehaltenen Bass-Noten antwortet gleich darauf ein zweiter Groove, in dem der Slap-Bass zum Percussion-Instrument wird und schmatzend um die Schlagzeug-Spur herum spielt. Eine funky Orgel wirbelt durch das Zentrum, links und rechts im Stereo-Panorama behakeln sich Rhythmus-Gitarre und Clavinet. Dieses Hin-und-Her zwischen A- und B-Groove läuft ein paar Runden, dann übernimmt erst mal für acht Takte ein aufgeräumter, aber nicht minder funky dritter Part. Schließlich meldet sich der erste Solist zu Wort …

»On organ, on organ, yeah / I’m playing on the organ y’all / My name is Robert Sam, but my friends call me ›Butch‹«

… sagt seinen Namen und groovt im nächsten Moment auf seiner elektronischen Orgel auf und davon. Es folgen weitere, ähnlich augenzwinkernd betitelte Solos: Dave Dynomite an der Gitarre, Hershall Happiness am Clavinet. Wie die Maschinen, die in diesem Kapitel so freundschaftlich daherkamen, geben sich auch die Musiker*innen bei Graham Central Station ständig neue Spitznamen. Die Linernotes der Platte verzeichnen sie mal unter dem einen, mal unter dem anderen. Hershall Happiness, auch bekannt als Hershall Kennedy, beendet gerade sein Clavinet-Solo mit einem quäkenden Schlenker durch das Wah-Wah-Filter und einem beherzt kreischenden »God God!« Dann aber meldet sich auch schon die nächste Anwärterin, bereit zu starten:

»It’s an F-U-N-K box, it’s an F-U-N-K box, funk box yeah / Playing on the funk box y’all / My name is C-H-O-C-L-A-T, chocolate!«

Und es folgt, »what may have been the first drum-machine solo in record history« (Toop, David (2000): Rap Attack 3. African Rap to global Hip Hop. London: Serpents Tail, S. 127). Patryce ›Chocolate‹ Banks präsentiert keinen Eigenamen, sondern buchstabiert die Maschine durch, die sie gleich darauf spielt. Auch die hat einen Kosenamen bekommen. Die liebevoll benannte Funkbox ist ein Rhythm King MRK-1 des amerikanischen Herstellers Maestro. Er gehört bereits zur nächsten, vollelektronischen Generation von Rhythmus-Maschinen in der Nachfolge des Wurlitzer Sideman und wird im folgenden Kapitel sehr viel genauer betrachtet werden. Hier aber können wir ihn bereits spielen hören. Und er spielt nicht einfach nur mit, als Teil der Band – er darf solieren, in eigenem (Kose)Namen.

Die Band setzt aus, um der Funkbox Raum zu lassen. Nur das Schlagzeug spielt weiter, als paradoxer Sideman des einstigen Sideman. Die Maschine spielt dazu ein Pattern mit markanten Stick- und Tom-Sounds und langgezogenen Snare-Rolls. Auch der Rhythm King kommt, wie der Sideman, mit einer Auswahl an Preset-Patterns, die per Tastschalter gewählt werden. Aber hier scheint gar nicht der Sequencer der Maschine am Drücker, dafür bleibt das gespielte Pattern einerseits zu reduziert – es sind stets nur wenige Sounds gleichzeitig zu hören – und ande- rerseits zu unregelmäßig. Wahrscheinlich spielt Patryce Banks die Klänge der Maschine über die kleinen Taster, die auf der Vorderseite des Gehäuses angebracht sind.

Während aber Bill Langford an seiner Orgel noch rhythmisch ziemlich ratlos angesichts des klickernden Sideman klang, fügt sich hier die Maschine nahtlos ein in die Jam-Session. Woran liegt das? In den Jahren zwischen dem Sideman-Demokonzert und diesem Maschinen-Funk von Graham Central Station vollziehen sich gleich mehrere entscheidende Veränderungen: Einerseits die technische Entwicklung, welche die transistorisierten elektronische Rhythmus-Maschinen kleiner, günstiger und damit immer zahlreicher werden lässt. Im Laufe der 60er Jahre ist das Feld der verschiedenen Modelle bereits kaum noch zu überblicken. Andererseits, und vielleicht einschneidender, finden diese Maschinen ihren Weg heraus aus dem heimeligen Orgelspiel und in anderen Soundkulturen ihr neues Zuhause. Gerade im Funk, einem Genre also, das erst kurz zuvor eine subtile rhythmische Komplexität als ästhetisches Programm entwickelt hatte, passieren die spannendsten Experimente. Bei Sly Stone und Shuggie Otis, bei Larry Graham oder Little Sister werden die einstigen Orgelkoffer offen als Futurhythmaschinen, als Agenten klanglicher Zukünftigkeit, hörbar.

Der letzte Solist ist an der Reihe: Larry Graham höchstselbst. Er bleibt einen Spitznamen schuldig. »My name is Larry Graham / But they call me …« Dann setzt er einfach noch einmal diese lang gehaltenen, breit hin und her gebendeten Bass-Noten an die Stelle seines Namens. Ein wenig angerockte Dramatik also, dann noch einmal vier Takte durch den C-Part und danach wird es erst richtig gut. Graham lässt einen funky Halbtakt-Schlenker kreisen, darüber kreist der Orgel Groove, darunter aber pochern die Stick-Sounds der Funkbox. Nach wieder acht Takten switched alles in den nächsten Groove. Grahams Slap-Bass rattert durch die Sechzehntel, die Orgel dreht am Rad, Clavinet und Gitarre verknoten sich endgültig ineinander. Durch alles hindurch rauschen immer wieder Becken-Klänge der Maschine, als würde überschüssiger Druck aus dieser Hochenergie-Funkyness entweichen. Dann aber, bevor der Groove endgültig zu platzen droht, endet alles plötzlich mit einem gut getimten Orgel-Chord on the one.

»God God!«

Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.

Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 189-192.