Listening Session #17

Schoolly D – Schoolly D (Album)

Alles fängt noch ganz harmlos an. Eine Sechzehntel Reihe 909-HiHats. Ein gescratchter Power-Chord. »Yo man, wassup man, this ain’t Prince. It’s Schoolly D man, we’re back.« Und DJ Cold Money antwortet: »Man let them know what time it is.« Dann bricht die Kick-Drum herein und in diesem Moment stürzt alles in einen völlig unwirklichen Hallraum hinab. Kick und Snare der TR-909 schießen quasi aus dem Nichts in die weit aufgedrehte Reverb Time hinein und ziehen ihre Fahnen wie einen Kometenschweif hinter sich. Unendliche Weiten. Auch die Bass-Frequenzen der Kick werden gnadenlos verhallt und wabern wie tieffrequente Hintergrundstrahlung durch den Raum. Schoolly Ds Raps schaffen es nur mühsam, sich aus dieser wogenden Frequenzmasse überhaupt herauszulösen, immer wieder versinken sie unverständlich darin. Er rapt einen typischen, manchmal etwas hastigen 80er-Jahre-Flow. Reim auf die Vier.

»Because rock and roll is all illusion /Comes to no basic conclusion / Rap like jazz is not all fusion / DJ, 1200s you know he’s using.« [Mit ›1200s‹ ist an dieser Stelle der Plattenspieler Technics SL-1200 gemeint.]

Der Rapper Schoolly D ist offensichtlich nicht der größte Fan von Rock Musik. Jedenfalls eröffnet sein 1985er Debüt-Album mit dem Track »I Don’t like Rock And Roll«. An dieser Stelle könnte eine durchaus interessante Diskussion der Genre-Politiken zu Beginn der 80er Jahre ansetzen, als Rap zuerst noch als kaum ernstzunehmende Modeerscheinung am Popkultur-Horizont auftauchte, nur um bald darauf bereits etablierte Genres, Künstler*innen – this ain’t Prince – und nicht zuletzt deren Plattenverkäufe in Bedrängnis zu bringen. Noch dazu ließe sich darüber sprechen, dass Schoolly D insbesondere mit der Single seines Albums – »P.S.K. – What Does It Mean« – einen der frühesten Entwürfe von Gangster-Rap als Subgenre vorgelegt hat. Das cineastische Streetcorner Storytelling auf absolut sparsamen Instrumentals wird nur ein Jahr später von Ice T auf »6’n the mornin’« perfektioniert werden.

Aber das alles interessiert mich im Moment nur am Rande. Der nächste Track des Schoolly D Albums beginnt. Wieder eine 909, diesmal sind Clap und Ride-Becken sehr prominent. Und wieder dieser unmögliche Hallraum. DJ Cool Money scratcht den klassische Aaaah-Sound von Fab 5 Freddys »Change The Beat«. Dazu Schooly D: »My DJ’s funky.« Die Kick-Drum setzt aus und Schoolly D fordert uns auf, alle unsere Fila Sneaker anzuziehen – auch diese Idee des  Product-Placement einschlägiger Sportschuh-Marken wird ein Jahr später sehr erfolgreich bei Run DMC wieder aufgegriffen. Die Kick kommt zurück, dazu Syl Johnsons Stöhnen aus dem »Different Strokes«-Breakbeat.

Track 3. »Free Style Rapping« ist angesagt. Mittlerweile hängt der Reverb-Effekt offensichtlich einfach in der Master-Spur. Alles schwimmt in einer Suppe aus Hall, dessen Höhen vollkommen überbetont sind. S- und T-Laute fliegen wie verirrte Frequenzgeschosse von allen Seiten durch den Hallraum. Die Snare der 909, die natürlich nicht lange auf sich warten lässt, ist so brachial durchkomprimiert, dass von ihren Transienten nichts mehr übrig ist und sie eher dröhnt wie eine schnell heran rollende U-Bahn. Cool Moneys Scratches wirbeln aufgescheucht durch die Gegend. Das ganze Album besteht bisher aus Raps + Scratches + TR-909 + Halleffekt. Das ist alles. »While my DJ makes you dance / I’m in the back in the b-boy-stance.«

Dann der Hit der Platte: Als Einleitung dient der berühmte Schnipsel Flash-Soundtrack, den auch der gleichnamige Grandmaster für seine Adventures On The Wheels Of Steel zercuttet. »P.S.K., we makin’ that green / People always sayin’ ›what the hell does that mean‹.« Schoolly D hat den Parkside Killers, einer Gang aus West-Philadelphia, ihre Hymne geschrieben. Kick und Crash detonieren auf der Eins, Snare und Sechzehntel-Hats schießen auf Zwei und Vier. Dieser Sound wirkt auf die Dauer absolut stressig. Erst unter Kopfhörern lässt sich unterscheiden, dass Kick, Crash und Hats mit langgezogenen Ausklingzeiten verhallt werden, Snare und ein ganz leise darunter liegender Clap aber in ein sehr kurzes Delay hinein scheppern. Während die sechs Tracks der Platte oft bis in die Drum-Pattens hinein frappierend ähnlich klingen, wurde der immer absolut überzogene Hallraum doch im Detail durchgestaltet.

Was macht dieser über alle Maßen strapazierte Hallraum ästhetisch in diesem Track und auf diesem Album? In jedem Fall funktioniert der Hall hier ganz anders als im dynamischen Ein- und wieder Ausfaden ebenfalls meist unmöglicher auditiver Räume und Echoschleifen im Dub. Schoolly Ds Produktion verzichtet weitgehend auf die heterochrone Black Secret Tricknology, die Ian Penman beschreibt:

»Dub messes big time with such notions of uncorrupted temporality. Wearing a dubble face, neither future nor past, dub is simultaneously a past and future trace: of music as both memory or futurity, authentic emotion and technological parasitism.«

Penman, Ian (1995): »Black Secret Tricknology«. In: The Wire, (133).

Bei Schoolly D aber geht es nicht um eine solche duppy Echokammer, die auditiven Zukünften und Vergangenheiten gleichermaßen ineinanderfaltet. Der Halleffekt funktioniert hier weniger zeitlich denn ganz klassisch räumlich, allerdings eben nicht als getreue Nachahmung eines ›realistischen‹ akustischen Settings. Sondern als eine technoästhetische Hyper-Räumlichkeit, in der Drum-Machine, Scratches und Raps zu übernatürlicher Größe aufgepumpt werden. Vielleicht ist damit auch schon in Geburtsstunde des Gangster-Rap jenes Schisma angezeigt, das dieses Genre seit jeher durchzieht. Zwischen einerseits dem dokumentarischen Anspruch, ein detailgetreues Bild von der Situation in West-Philly oder der South-Bronx zu zeichnen. Und andererseits von Selbstermächtigung durch Selbstüberhöhung, durch die immer schon übertriebene Gangster-Romantik, durch slick talk, durch braggin’n’boastin’.

Schoolly D selbst erzählt die Geschichte natürlich noch ein wenig anders.[1] Sie seien einfach verdammt high gewesen als sie »P.S.K.« und die anderen Tracks aufgenommen hätten. Am nächsten Tag hätte er sich die Aufnahme angehört und wollte direkt ins Studio, um den Hall noch mal zurückzuschrauben. Aber als er auf die Straße trat, hätte er seinen Track schon von ein paar Bootleg-Tapes, die seine Leute gemacht hatten, durch die ganze Nachbarschaft pumpen hören.

Wie auch immer. Der vorletzte Track läuft. »Gucci Time«. Nur das Ride-Becken der 909 spielt erst halbe, dann Viertel-, dann Achtel-Noten. Dabei ist – zumindest mit Kopfhörern – deutlich hören, wie jemand die Tasten der Maschine drückt. So etwas war mir vorher bereits aufgefallen, wenn der Beat gestoppt und anschließend wieder gestartet wurde, aber hier ist es noch deutlicher. Plötzlich falten sich zwei völlig unterschiedliche Räume ineinander. Die schillernde, überdimensionierte Sonic Fiction des Hallraums und das wahrscheinlich kleine, enge Studio-Kabuff, in dem Schoolly D die 909 spielt, während irgendwo noch ein Mikrophon offen ist. Zwei vollkommen verschiedene Räumen, in denen doch in beiden die Maschine im Mittelpunkt steht. People always sayin’ ›what the hell does that mean‹.

Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.

Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 364-367.