Little Sister – Somebody’s Watching You
»The last three Stone Flower singles, released in November and December 1970, all featured the Rhythm King prominently and no doubt sounded completely alien on pop stations, let alone R&B radio. Yet the new version of ›Somebody’s Watching You‹ by Little Sister made the Top 40 and, as such, is often cited as the first hit record to feature a drum machine.« (Palao, Alec (2014): I’m Just Like You. Sly’s Stone Flower 1969-70. Linernotes. Seattle: Light In The Attic Records, S. 9).
Die ersten futurhythmaschinischen Hits stammen von einer Girl Group. Vet Stewart, die jüngere Schwester Sly Stones, Mary McCreary und Elva Mouton sind Little Sister. Auf Stone Flower, dem Label des großen Bruders, veröffentlichen sie 1970 zwei Singles, die es beide in die Top Ten der R’n’B-Charts schaffen. Sly Stone produziert auf seinem Label verschiedene Künst-ler*innen, neben Little Sister noch die komplementäre Boy Group 6ix sowie den Sänger Joe Hicks. Auf fast allen dieser Produktionen setzt er dabei zwischen 1969 und 1970 zum ersten Mal seine Funkbox, den Maestro Rhythm King, in den Aufnahmen ein.
»Pretty pretty pretty as a picture / Witty witty witty as you can be«, der Track »Somebody’s Watching You« trottet ein typisches Rhythm-King-Pattern entlang. Wah-Wah-Gitarre und eine ebenfalls durch ein Filter gejagte Orgelfläche wogen sanft gegen die Drums. Ein perkussiv gespielter Bass – ist das Larry Graham oder Sly Stone selbst? – unterstützt bald den trottenden Gang. Die drei Stimmen der Sängerinnen bleiben dicht beieinander, dann scheren sie plötzlich in Mehrstimmigkeit aus, finden danach aber immer schnell wieder zusammen. Der Raum, in dem dieser Track spielt bleibt dabei seltsam unwirklich. Auf den Vocals und auch auf der Gitarre liegt ein deutlicher Hall, aber der Raumeindruck bleibt offen als Effekt hörbar. Aber anders als dem einsamen Sly Stone auf »Just Like A Baby« fehlt dieser Aufnahme die bedrückende, klaustrophobische Enge. Das hier fühlt sich eher wattig an, das Orgel-Pad wabert unter dem Filter entlang, der Bass biegt sich in einer angenehm groovenden Elastizität um das Drum Pattern, die Gitarre spielt ein souliges Call and Response mit den Vocals.
»Somebody’s Watching You!« Das Drum-Pattern scheint unter Kopfhörern in zwei Ebenen gestaffelt zu sein. Die rauschenden Becken-Instrumente und die klackernden Hölzer scheinen beinahe auseinander zu laufen. Das Pattern kann ich nicht eindeutig identifizieren. Es könnte der Mambo des Rhythm King sein, aber sicher zu sagen ist das nicht. Die Hölzer sind nur un- deutlich zu hören unter all dem Wah-Wah-Gewaber. Vielleicht auch eine Kombination zweier Patterns? Oder wirklich eine Kombination von zwei Maschinen, die durch je unterschiedlich Amps geschickt wurden weshalb dann der Sound so gestaffelt klingt? Sly Stone behauptet in In- terviews, er habe oft mit mehreren Maschinen aufgenommen, habe irgendwie versucht sie zu synchronisieren, um mehr Variationsmöglichkeiten zu haben. Ein einfaches Preset läuft hier jedenfalls nicht. Sly Stone scheint sich auf diesen frühen Produktionen noch mit der Maschine vertraut zu machen. Auf »Life And Death In G & A« von Joe Hicks, einer weiteren Stone Flower-Veröffentlichung, ist deutlich zu hören, wie Sly Stone die Snare-Drum des Rhythm King über den zugehörigen Taster ›live‹ in das Pattern hineinspielt. Bei »I’m Just Like You« der Gruppe 6ix funktioniert der gerade Backbeat der so prominent trocken nach vorne gemischten Snare, die auch den Eindruck macht, als sei sie gespielt, gerade im Gegensatz zu dem funky Bass, der die Achtel dazwischen setzt. Auf jeder dieser Platten scheinen sie etwas anderes mit der Maschine auszuprobieren.
Es bleibt schwer, sich heute vorstellen zu wollen, wie fremd, wie alien eine solche Produktion im Pop-Radio der frühen 70er geklungen haben mag, wie es Alec Palao vermutet. Dessen eingangs zitierte Linernotes stammen aus einer Veröffentlichung des Labels Light In The Attic, auf der Sly Stones frühe rhythmaschinische Produktionen dieser Jahre zusammengefasst und wiederveröffentlicht wurden. Und darauf findet sich ein weiterer Track, der zumindest einen Eindruck von jener klanglichen Fremdheit vermittelt, welche die Maschinen in Sly Stones Funk-Sound hineinträgt: Auf der Platte findet sich auch die zuvor unveröffentlichte Version von Little Sisters »Somebody’s Watching You« in voller Bandbesetzung.
»Go ahead, go. … One, two« Einen Einzähler hatte die Maschine nicht gebraucht. Dann setzt auch schon die Band ein. Der Bläsersatz, der tänzelnde Groove der Sechzehntel-Hats, die klassische Funk-Rhythmusgitarre machen aus der luftigen, leicht entrückten Enge der ersten Version einen typischen Uptempo-Soul-Nummer. Ist das Cynthia Robinson an der Trompete? Die Orgel fehlt, der Bass ist zurückgenommen und die Vocals stehen viel klarer im Fokus. Diese Produktion klingt viel ›fertiger‹, viel mehr nach einem gut gelaunten Radio-Hit. Trotzdem erschien stattdessen die skizzenhafte Soul-Psychedelia mit Rhythmus-Maschine auf Stone Flower.
Little Sister und 6ix, Joe Hick und Sly Stone haben um 1970 also gezielt diesen fremdbleibenden Sound des Rhythm King nicht nur in die ästhetische Praxis des Funk sondern auch in das Pop-Radio hineingetragen. Das Klickern und Klackern der Maschine baut – das macht die Ge- genüberstellung der beiden Little-Sister-Versionen sofort deutlich – den klassischen Band- Sound vollkommen um, zerlegt ihn in wenige Einzelteile, die um den Maschinen-Groove he- rum neu geordnet werden. Der Bass spielt dabei eine entscheidende Rolle, weil er besonders dafür geeignet ist, das mechanisch anmutende Schalten der Patterns zu umspielen und grooven zu lassen. Die Maschine löst die Band hier nicht ab. Das hier ist nicht der tragische Maschinen-Solipsismus von Sly Stone allein. Sondern: Die Maschine baut die Band um, drängt sie zu anderen Formen, macht sie zu einem anderen, zu einem neuen Kollektiv.
Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.
Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 212-214.