Mark Fishers Ghost Track
Die Ultramagnetic-Platte ist durchgelaufen, es klingt nur noch das Knistern der Nadel in der Auslaufrille. Vieles spräche dafür, Paul C.’s kleinteilige Sampladelia schon wegen besagter Motivlage mit Mark Fishers ebenso melancholisch knisterndem Konzept hauntologischer Soundkultur zu crossfaden. Der hörte in den verschiedensten avancierten Popmusiken des frühen 21. Jahrhunderts – etwa bei Burial, bei Drake oder dem Ghostbox Label – das Spuken einer nicht zur Ruhe kommenden Vergangenheit bei gleichzeitigem Verlust jedes positiven Begriffs von Zukunft. Jeder klangliche Futurismus sei heute – das heißt bei Erscheinen von Fishers Buch Ghosts of My Life: 2014 – selbst schon wieder eine retromanische Beschwörung vergangener, nicht eingelöster Zukunftsversprechen. Futurismus überhaupt funktioniere nicht mehr als radikaler Bruch mit allen etablierten Wahrnehmungsmodi, sondern als nostalgisch gefärbtes Retriggering alter Ideen einer kommenden Welt. Lau aufgewärmtes Space-Age-Design, aufpolierte Jungle-Breakbeats und wiedergekäuter 90er-Cybertheorie-Jargon.
Fisher wusste, dass diese Klage um die ästhetische wie auch politische Alternativlosigkeit der herrschenden Gegenwart, schnell Gefahr läuft, ihrerseits ein sehr altes kulturpessimistisches Lied zu wiederholen. Es ging ihm aber um mehr, als die selbst so vorhersehbare Schelte einer vermeintlich durch und durch vorhersehbar gewordenen kulturellen Praxis. Das Wegbrechen futuristischer Entwürfe möglicher Auswege aus der Gegenwart las er vor allem als ein Symptom einer fundamentalen »temporal pathology« dieser Gegenwart selbst (Fisher, Mark (2014): Ghosts of my Life. Writings on Depression, Hauntology and Lost Futures. London: zero books. S. 16). Bei Fisher handelte es sich keineswegs um die alternde Besserwisserei, die mit gerunzelter Stirn die Ideenlosigkeit der nachrückenden Generation feststellt. Mit Franco Berardi beschrieb er viel mehr die ›slow cancellation of the future‹. Die Zukunft wurde schlichtweg abgesagt.
Es finden sich verschiedene Lesarten dieser zeitlichen Pathologie, die Mark Fisher dem 21. Jahrhundert attestierte. Dabei lassen sich zwei generelle Diagnosen unterscheiden, die aber natürlich ineinander verschränkt sind: Einerseits kann das Ausbleiben von Zukunft als Einbalsamierung einer ständigen Gegenwart im Kapitalistischen Realismus verstanden werden (vgl. Fisher, Mark (2009): Capitalist Realism. Is There No Alternative? Winchester: zero books). Wenn die verwaltete Welt so fest gefügt ist, dass ein Außen nicht mehr vorstellbar ist, dann wird Zukunft nur noch als Marketingversprechen der neusten Produktgeneration überhaupt wirksam. Andererseits – und meine Platte knistert immer noch im Hintergrund – trieft diese auf Dauer gestellte Gegenwart nur so vor darin eingesickerten Vergangenheiten und erst recht vor vergangenen Zukünfte.
»We live in a time when the past is present, and the present is saturated with the past. Hauntology emerges as a crucial – cultural and political – alternative both to linear history and to postmodernism’s permanent revival. What is mourned most keeningly in hauntological records, it often seems, is the very possibility of loss. With ubiquitous recording and playback, nothing escapes, everything can return.«
Fisher, Mark (2013): »The Metaphysics of Crackle. Afrofuturism and Hauntology«. In: Dancecult: Journal of Electronic Dance Music Culture, 5 (2). S. 42-55. Hier: S. 49.
Die Absage der Zukunft ist bei Fisher immer auch das Ergebnis eines solchen medientechnischen Überangebots an Vergangenheit. Und es ist kein Zufall, dass Mark Fisher immer wieder auf das Bild – oder besser: den Sound – der knisternden Platte auf dem endlos drehenden Plattenspieler zurück kommt, wenn er den Begriff der Hauntology erläutert. Musik und Soundkultur sind bei ihm ein Paradebeispiel für die aus allen Fugen geratene Zeitlichkeit des jungen 21. Jahrhunderts. Während einerseits die mediale Infrastruktur der Musik fundamentalem technikkulturellen Wandel unterworfen gewesen wäre, sich etablierte Rezeptions- und Konsumptionspraxen völlig neu gestaltet hätten, sei andererseits die formale Gestaltung der Musik selbst zur ständigen Wiederholung alter Muster, zum Pastiche, übergegangen (vgl. Fisher 2014, S. 16.). Konfrontiert mit der Massivität scheinbar universaler Archive, die auf Knopfdruck verfügbar und per Suchmaske navigierbar sind, suchten Künstler*innen ihre Aufgabe nicht länger im Entwurf zukünftiger Welten, sondern in der schieren Bewältigung der popkulturellen Vergangenheit.
Vergangenheit vergeht nicht mehr, sie wird eine weitere Option in der Playlist. Die einzig adäquate Art und Weise, mit dieser Situation noch ästhetisch umzugehen, hört Fisher in genuin hauntologischer Musik. In Burials surrealen Hallräumen etwa, die sich wie Nebel über den melancholische Ruinen von Rave-Kultur ausbreiten, und diese klanglichen Erinnerungen – die niemals die eigenen sind, die stets fremd bleiben – in das Prasseln des Südlondoner Regens und, natürlich, knisterndes Vinyl tauchen. Hauntologische Musik gibt sich keinerlei Mühe, die chronologische Diskrepanz ihrer Elemente zu glätten, um einen Eindruck vermeintlich ›authentischer‹ Präsenz zu suggerieren.
»Hauntology restores the uncanniness of recording by making the recorded surface audible again. One of the things that the 21st century’s hauntological artists – Burial, Ghost Box, The Caretaker – share with Tricky is the foregrounding of the sound of vinyl crackle. There is no attempt to smooth away the textural discrepancy between the crackly sample and the rest of the recording.«
Fisher 2013, S. 48.
Aber funktioniert diese Diagnose zeitlicher Dysfunktion? Ich habe Schwierigkeiten nachzuvollziehen, an welchem Punkt Fisher seinen Schnitt ansetzt. Jungle und Hardcore sind noch radikal futuristische Utopie? Dabei sind doch beide offen hörbare Akkzelerationen ihrer unmittelbaren Vergangenheit. Und Burial ist sicherlich melancholisch, aber führt doch gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten auditiver Gestaltung die hochaktuell ist. Es ließen sich an unzähligen Beispielen andere Lesarten und alternative Hörweisen entwickeln, die Mark Fishers Diagnose allein über das Hören in Zweifel ziehen.
Ich möchte hier ein anderes anführen. Eines, das bei Fisher selbst kaum auftaucht – und wenn dann meist als als etwas billiges Klischee der hyperkapitalistischen Subjektivität: Ich kenne kaum Textpassagen, in denen Fisher über HipHop schreibt, abseits von Drakes depressivem Hedonismus. Und das ist vielleicht kein Zufall, insofern HipHop-Sampling mir in hauntologischen Begriffen nicht aufzugehen scheint. HipHop war schon immer eine Archiv-Musik, eine Musik über andere, über vergangene Musiken. Diggin In The Crates. Das Buddeln in den staubigen Plattenkisten watet knietief durch die Schlacke längst verklungener Klänge. Aber insbesondere Paul C. und die Begeisterung, die seinem Sample-Chopping bis heute entgegengebracht wird, sind das beste Beispiel dafür, dass diese hochgradig Vergangenheits-gesättigte Musik, immer auch zugleich futuristisch war und ist. »Give The Drummer Some« ist ein Track über die 1988er Möglichkeit von Funk. Der Versuch die kunstvolle Heterochronizität des original Funky Drummers an der Maschine neu zu entwickeln.
Und Heterochronizität ist überhaupt das Stichwort. Paul C. lässt in seinem Sampling anklingen, dass die Vergangenheit seiner Plattenkiste nicht einfach eine Station am anderen Ende eines linearen Zeitpfeils ist, an die sich nostalgisch erinnern ließe. Sondern dass diese Vergangenheit selbst zeitlich schon sehr viel komplexer gelagert ist, dass sie zum Beispiel in zwei Stereo-Kanälen begraben liegt, die sich jeder für sich wieder ausbuddeln lassen. Switch up! Change my pitch up! Die Hauntologie nennt Mark Fisher zwar eine Alternative zur linearen Chronologie (vgl. Fisher 2013, S. 49), aber auch mit ersterer Hilfe findet er aus letzterer Eingleisigkeit keinen Ausweg. Die abgesagte Zukunft, ist bei ihm immer noch eine Zukunft, in deren Richtung man geradewegs voranzuschreiten hätte. Heterochronizität aber – die der Funk in der Minimaldimension der Mikrorhythmik zelebriert und die das HipHop-Sampling auf vinylhistorischen Maßstab ausgedehnt hat – ist etwas anderes als Fishers und Reynolds Dyschronizität. (Von Simon Reynolds, seinem Bruder im hauntologischen Geiste, übernahm Fisher den Begriff der ›Dyschronia‹, einer ausweglosen temporalen Dystopie (vgl. Fisher 2013, S. 47).) Heterochronizität hieße ja auch die Möglichkeit zeitlicher Alternativen, die eben nicht an die eine verheißungsvoll vorausmarschierende Zukunft glauben können oder wollen. The revolution will not be televised. Steckt nicht in der revolutionären Hoffnung immer eine Teleologie, eine geradlinige Idee von Zeitlichkeit? Und: Steckt nicht in der Rede von der abgesagten Zukunft auch ein enttäuschter revolutionärer Heroismus.
Aber vielleicht geht es längst nicht mehr um solch heroisches Voranschreiten sondern eher um den funky Sidestep. Vielleicht ist der treffenden Diagnose, dass unsere Gegenwart zum Bersten voll mit Vergangenheiten ist – und das längst nicht erst seit dem 21. Jahrhundert –, nicht dadurch zu begegnen, auf die nostalgisch nicht enden wollenden Hallräume zu hören, die sich sicherlich an vielen Stellen aufspannen. Sondern viel mehr auf das Chopping, auf das Durch- und Umarbeiten von klingender Vergangenheit als ästhetischem Material und auf das rhythmische Umgehen mit zeitlicher Diversität. Und vielleicht würde dann deutlich, dass gerade Musik genau das immer noch ermöglicht.
»Throughout the 20th century, music culture was a probe that played a major role in preparing the population to enjoya future that was no longer white, male or heterosexual, a future in which the relinquishing of identities that were in any case poor fictions would be a blessed relief.«
Fisher 2014, S. 28, (Herv. i. O.).
Die Platte knistert immer noch. Ich lasse sie noch ein wenig laufen.
Paul C lives.
Mark F lives.
Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.
Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 494-498.