T La Rock – Bass Machine
HiHats und Claps wirbeln durch die Gegend. »Ah yeah!« Dann bricht eine teilweise auf Sechzehnteln getriggerte Kick-Drum herein. Eine kurze, dünne Snare hält dagegen. Die Drums werden wieder zurückgefahren, T La Rock eröffnet den Track: »Right about now, kickin’ it live on the bass machine, better known as the Roland 808, the king of the beats, we call him Mantronik and I am… T La Rock.« Unter der Ansage wird ein gesampleter Orchester-Stab hin und her gepitcht. Mit dem ›Rock‹ der einleitenden Selbstbenennung setzt der Beat wieder ein. Die bauchige Kick-Drum spielt ein sparsames Muster und stammt offensichtlich aus der angekündigten Bass-Machine, eine klassisch subsonische 808-Kick. Zusammen mit dem Drum-Sound werden immer wieder die Silbe ›Rock‹ und der Orchester-Stab getriggert. Ein hektischer Eindruck, klassische frühe Sampling-Ästhetik, die allen zeigen will, dass hier Sampler und Sequencer am Drücker sind. Der Snare Sound wirbelt immer wieder durch die Sechzehntel und bis in die 32tel hinein und rattert dabei verschiedene Einstellungen des Pitch-Reglers entlang.
Mit der Bass-Machine, von der eben die Rede war, bin ich mir deswegen nicht mehr so sicher. Um ein solches Pattern mit 32tel Auflösung zu programmieren, müsste auf einer guten alten 808 ziemlich getrickst, das Tempo verdoppelt und damit die Länge des möglichen Patterns halbiert werden. Das scheint mir hier anders zu funktionieren. Und das Pitching der Snare ist auf diese Weise auch nicht an der Maschine zu machen. »Now throw your hands in the air / and wave’em like you just don’t care / and if you like the sounds we’re throwin’ down / somebody say ›oh yeah!‹« Das folgende Call and Response zwischen dem Rapper und seiner Crowd, die auf der Aufnahme in den Seiten des Stereo-Panoramas stetig am Johlen ist, wird bei 00:47 durch einen scharfen, kratzenden Sound beendet, der einen sofort in das Pattern zurück reisst. Der Sound scheint die drei Achtel 3, 3-und, 4 zu spielen. Aber eigentlich ist das natürlich kein einzelner Sound, sondern wahrscheinlich die Snare, die jeweils viermal in 64tel-Noten getriggert wird, so dass dieses Retriggering an sich beginnt, als Tonhöhe hörbar zu werden. (Bei dem Tempo des Tracks von 99,5 bpm entspricht eine 64tel-Note ungefähr einer Frequenz von 26 Hz, also durchaus im unteren Bereich des menschlichen Hörspektrums.) Das kann also kein TR-808-Sequencer sein, der hier die Sounds abfeuert. Wie programmiert der Produzent des Tracks, Kurtis Mantronik, eine solche Kontinuität zwischen Mikrorhythmik und Tonalität in seine Bass Machine? Der TR-808-Sequencer allein kann das, wie gesagt, nicht sein. Wie bekommt er also die Sounds der Maschine in so feinen Auflösungen getriggert? Im Interview verrät Mantronik:
»I sample it. With the 808 that also means I can take the quantization off – you can’t do that on the 808 itself. When I make a beat I make the kick drum really off. I take like 4/4 time and really change it up and make it more funky that way. After I’ve sampled something I get something new and forget about it. I have the sounds so I can use them again.«
Kurtis Mantronik zit. n. Goodyer, Tim (1987): »Music MadNess.«. In: Music Technology, April 1987. S. 67-70.
Mantronik samplet die Maschine in einer anderen Maschine. In seinem Fall ist das eine Sequential Circuits Studio 440 Sampling-Workstation von 1986. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre rücken solche Geräte mit eingebauter Sampling-Funktion an die Stelle der plötzlich altbackenen EPROM-Chip-Schleudern. Sampling-Drum-Machines, deren digitaler Speicher es ermöglicht, jeden beliebigen Sound – so er denn die auf wenige Sekunden begrenzte Kapazität dieses Speichers nicht überschreitet – in den Status von ›(Un-)Real Drums‹ zu erheben. Diese Maschinen sind die eigentlichen Erfinderinnen der Sampladelia:
»The sampler […] is a machine for derealizing solid state sounds. Sampladelia is the state of being overcome by 20 seconds of sound.«
Eshun, Kodwo (1998): More Brilliant than the Sun. Adventures in Sonic Fiction. London: Quartet Books.
Und es reichen noch viel weniger. 10 Sekunden Sampling-Zeit in E-Mu Systems SP-1200 zum Beispiel, aber dazu kommen wir noch. Mit diesen Maschinen implodieren plötzlich die soundkulturellen Archive in den Plattenkisten der House- und HipHop-DJs und pfropfen der Gegenwärtigkeit von nur wenigen Kilobyte digitalem Speicher neue Zukünfte für klingende Vergangenheiten auf.
Aber das geht jetzt zu schnell. Hier samplet, wie gesagt, Kurtis Mantronik mit seiner Maschine eine ander Maschine. Aus Sicht von deren Entwickler*innen muss das eine zunächst geradezu widersinnige Verwendungsweise sein, verspricht doch digitales Sampling 1986 nach wie vor die möglichst transparente medientechnische Abbildung ›realistischer‹ Klänge. Bei Mantronik aber deutet sich bereits eine eine fundamental verschobene sampladelische Sensibilität an, in der solcher ›Realismus‹ sich endgültig auf die Maschinen-Ebene verschiebt.
»I did something called ›Bass Machine‹ with T La Rock where I took the 808 snare and pitch-changed it. People thought ›wow!‹ because nobody’d ever done that with an 808 before.«
Kurtis Mantronik zit. n. Goodyer, Tim (1987): »Music MadNess.«. In: Music Technology, April 1987. S. 67-70.
Die Snares wirbeln jetzt immer wieder quer durch das Pitch-Shifting der Sampling-Engine. Das lässt sie noch trockener klingen als direkt aus der TR-808. Wie Schleifpapier ziehen sie über die tiefrequenten Kick-Drums. T La Rock ruft derweil nach ca. zwei Minuten »the incredible sound machine« aus, und meint damit keine weitere technische Gerätschaft sondern den Rapper und Human Beatboxer Greg Nice. Auch der darf schließlich seine Kicks und Snares wortwörtlich in den Sampler spucken. Seine Performance wird von Mantronik ebenso zurecht gechoppt, wie die unzähligen anderen Sounds, die in der zweiten Hälfte des Tracks kaum noch Platz für T La Rock lassen. Der ruft von da an nur noch einzelne Kommandos in den Sample-Wahnsinn hinein.
Nach ungefähr 4:40 meine ich die klickernden Sounds einer alten analogen Preset-Maschine irgendwo unter den hämmernden Bass-Drums zu hören. Aber vielleicht bilde ich mir das auch ein, weil dieses Bild maschinischer Selbsthistorisierung einfach zu schön ist. Die Sampling-Maschinen der späten 80er und frühen 90er eröffnen auch ihren futurhythmaschinischen Vorläuferinnen neue Zukünfte. Mantroniks wirbelndes und rollendes Sampling der 808-Sounds jedenfalls hallt bis in die Jetztzeit aktueller Trap-Sounds nach.
Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.
Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 461-464.