Bill Langford – Carribean Medley
Es ist nur folgerichtig, an dieser Stelle eine Werbeunterbrechung einzulegen. Die allerdings fügt sich bestens ein. Die früheste Platte, die ich im Rahmen dieser Arbeit finden konnte, auf der eine Rhythmus-Maschine zu hören ist,94 ist genau das: Werbung. Just Plug Me In! Bill Langford Plays 3 Electronic Wurlitzers, der Titel ist Programm. Der Organist Bill Langford präsentiert die drei neusten »Electronic Marvels«, so heißt es auf dem Cover, die »Transistor Big Organ«, das »Electronic Portable Piano« und den »Electronic Side Man«. Das Ganze sei eine Konzertaufnahme, lässt die Hülle ebenfalls wissen. Bill Langford ist abgebildet, wie er an seiner Wurlitzer Orgel sitzt, hinter seinem Rücken lugt ein gezeichneter Netzstecker hervor und wartet nur darauf, eingesteckt zu werden. Just Plug Me In. Elektronisches Home-Entertainment, so brachial, wie es hier gepriesen wird, ist offensichtlich noch eine echte Neuheit. Aber genau um solches Home-Entertainment geht es. Mit einer Orgel von Wurlitzer, einem elektrischen Piano und vielleicht noch einem Sideman als Beistand kann jetzt jedes US-amerikanische Mittelklasse-Wohnzimmer klingen wie ein Konzert mit Bill Langford. Selbstverständlich also, dass eine Musikauswahl ge- boten wird, wie sie die zu rekrutierende Kundschaft schätzt. Broadway-Balladen (»Peg O’ My Heart«), populäre Songs (»Yellow Bird«) und Lionel Hamptons »Midnight Sun« werden gegeben. Ein »Hawaiian War Chant« verspricht ein wenig exotistischen Nervenkitzel. Gleich mehrere offensichtlich besonders beliebte Stücke werden in Medleys zusammengefasst. Ich höre das sogenannte »Carribean Medley«.
Die Orgel gibt den Aufmacher und leitet ins Thema des »Banana Boat Song« ein. Ein schwel- lender Akkord auf einem anderen Orgel-Sound, dann darf erstmal vier Takte lang das Rumba- Pattern des Sideman alleine spielen. Die Rumba auf meinem Sideman klingt im Detail anders, hier spielen die Maracas die Sechzehntel und nicht die Achtel. Aber das mag an einem Defekt meines Geräts liegen. Was mich allerdings verwundert: Der Sideman hier ist subtil im Stereo-Panorama verteilt. Die knarzige Bass-Drum steht deutlich rechts, die Maracas und die tiefen Toms ebenfalls. Die Clave-Figur steht relativ im Zentrum und die Wood-Blocks höre ich ganz leicht links. Dieses Panning muss mit der Mikrophonierung zusammenhängen. Die verschiednen Lautsprecher des Sideman müssen ja per Mikro abgenommen worden sein. Trotzdem kann ich mir die Trennung der unterschiedlichen Sounds nicht recht erklären. Natürlich ist die Bass- Drum auf dem Tieftöner sehr dominant, aber das dürfte nicht ausreichen, um diesen Effekt einer räumlichen Trennung hervorzurufen. Als aber das Pattern seinen vierten Takt gespielt hat, passiert noch etwas bemerkenswerteres: Deutlich links im Panorama taucht jetzt der Becken- Sound auf, der ein paar angeswingte Achtel spielt. Dabei stolpert der Sound aber immer wieder zu unregelmäßig, als dass das hier noch der Tempo-Wheel des Sideman sein kann. Hier muss jemand die Becken per Taster, ›live‹, auf dem Sideman spielen. Bill Langford kann es nicht sein, der dudelt sich auf der Orgel im rechten Kanal weiter den Banana Boat Song entlang. Auf der linken Seite ist ein Basslauf zu hören, ebenfalls auf einer Orgel, vielleicht auch dem auf dem Cover beworbenen Electric Piano gespielt. Gibt es also einen (menschlichen) Sideman der den (technischen) Sideman spielt? Und wie kommt es zustande, dass die Becken noch einmal so klar räumlich getrennt aufgenommen werden konnten. Vielleicht gibt es eine zweite Maschine, die nur für die Becken zuständig ist? Oder die Sache mit der Konzert-Performance stimmt nicht und stattdessen ist das hier doch eine Multitrack-Aufnahme? Die Sounds der Machine lassen sich nicht einzeln direkt abnehmen, es sei denn Langford hatte ein spezielles Gerät zur Verfü- gung. Bei ungefähr 1:30 spielt die Orgel links ein paar rhythmische Akkorde und die Becken steigen mit ein. Das ist allein auf dem Sideman so nicht realisierbar. Auf diesem ersten – zumindest mir bekannte – Auftritt einer Rhythmus-Maschine auf Platte wird diese Maschine offenbar noch gespielt.
Das Zusammenspiel von Mensch und Maschine allerdings funktioniert hier noch nicht rei- bungslos: Während das Medley weiter seinen Weg nimmt, über »Jamaica Farewell« hinweg, erscheint mir das Pattern des Sideman immer chaotischer. Zwischen der Bass-Drum rechts, den Becken und den Block-Instrumenten links scheint immer weniger Zusammenhang zu bestehen. Vielleicht ist es das etwas chaotische Orgel-Gedudel, aber es klingt, als würden hier Zählzeiten auseinander laufen. Oder bilde ich mir das ein? Es ist schwierig zu hören, einzelne Schläge sind in dem voll bepackten Mittenband manchmal nur schwer auszumachen. Aber irgendwas läuft hier schief. Dann startet das »Girl From Ipanema«, das zwar nicht mehr eigentlich in der Kari- bik spielt, aber offenbar schon wegen der grob stimmenden Himmelsrichtung in das Medley aufgenommen wurde. (Später wird dieser Song eine wichtige Inspirationsquelle einer weiteren rhythmaschinischen Episode werden.) Die Orgel und das Rhythmus-Pattern laufen teilweise unabhängig. Nur die gespielten Becken halten zur Orgel. Vielleicht spielen hier wirklich zwei Sideman-Maschinen? Vielleicht wurde auch das durchlaufende Pattern erst nachträglich hinzugefügt und – weil kaum möglich – nicht exakt genug synchronisiert? Wirklich erklären kann ich mir nicht, was das zu hören ist. Aber es hat etwas unbeholfenes. Es stellt sich kein Groove ein, der Sideman klickert rastlos unter der Orgel herum.
Vielleicht aber umso faszinierender scheint mir der Gedanke, wie irgendwann um 1965 Bill Langford auf einer Bühne gesessen haben muss und jemand anderes ihn auf den Becken des Sideman begleitet hat. Was muss das für eine Szenerie gewesen sein? Aus heutiger Sicht- und Hör- weise mag das alles 60er-Jahre-Kitsch sein. Aber damals muss dieser rein elektronisch generierte Sound durchaus nach Zukunftsmusik geklungen haben. Und für diese Zukunft, das meine ich mit ›unbeholfen‹, gibt es noch keine etablierten Performance-Strategien. Bill Langford legt an seiner Orgel los, als würde er ganz alleine spielen. Er hört nich auf seinen Sideman und spielt sicher nicht mit ihm zusammen. Die Maschine bleibt Dekoration, ein wenig techno-exotistischer Nervenkitzel, ganz der Songauswahl entsprechend.
Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.
Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 177-180.