Jeff Mills – Exhibitionist Mix 3 TR-909 Workout
Jeff Mills und seine 909 in klassischem White Cube Setting. Artsy as artsy can get. Ich sehe den »Mix 3 TR-909 Workout« der DVD-Produktion Exhibitionist 2. Weit und breit nichts außer Mills und Maschine. Er kniet vor dem gräulichen Gehäuse und sieht dabei – eigentlich unmöglich – schrecklich elegant aus. Schnell Start gedrückt und nur der Rimshot läuft für einen Takt. Dann spielt Mills über die großen Drucktaster die Four-To-The-Floor-Kick und auf einmal beginnen seine Hände über der Oberfläche hin und her zu wirbeln. Als nächstes tippt er einen Clap auf die Off-Beats, aber bei herunter gedrehtem Volume Regler ist der noch nicht zu hören. Erst mit dem Start des nächsten Takts dreht er den Regler hoch und lässt den Clap laufen, setzt noch eine stolpernde Kick vor die Zwei und spielt dann eine Figur auf den Toms hinterher. Das Ganze läuft erst gute zehn Takte. Jetzt noch eine geschlossene HiHat auf die Sechzehntel. Dann – Stille, Breakdown. Mills hat den laufenden Sequenzer gestoppt, pausiert genau bis zum Beginn des nächsten Takts und startet ihn dann von neuem. Der Rimshot ist zurück und spielt jetzt ein hüpfendes Pattern über die Sechzehntel. Per Regler öffnet Jeff Mills die HiHat ein wenig, dreht dann plötzlich zum Ende des Taktes einen Snare-Wirbel hinein. Die HiHat setzt aus, Kick, Tom und Rimshot spielen weiter, dann lässt Mills per schnell hintereinander getriggerten Start– und Stop/Continue-Tastern das Pattern nur die Achtel vor sich hin stottern. Kick und Rimshot setzen ebenfalls aus, freie Fahrt für die Tomfigur. Weiter geht’s mit dem Ride-Becken auf den Achteln und der Rückkehr der HiHat, dann Snare-Wirbel über Snare-Wirbel und ein Solo am Snappy-Regler …
Ich komme nicht mehr hinterher. Einerseits was die Geschwindigkeit angeht: Jeff Mills ist einfach zu schnell. Sein DJ-Alias The Wizard, unter dem er bereits als Teenager das Detroiter Radiopublikum verzauberte, kommt nicht von ungefähr. Magie ist vielleicht auch vor allem eine Frage des Timings. Aber es ist nicht nur das schiere Tempo, mit dem Mills’ Hände uneinholbar rasant über die Regler und Knöpfe der 909 fliegen. Es ist andererseits auch meine Sprache, die hinterherhinkt. Meine Beschreibungen wirken ungeheuer trivial und klingen eher nach einer Passage aus der Betriebsanleitung, als dass sie dem gerecht würden, was Jeff Mills da vollführt. Als würde ich versuchen die virtuose Performance einer Pianistin einzufangen, indem ich nach und nach die einzelnen Tasten aufliste, die sie spielt.
Jeff Mills spielt die TR-909 als sein Solo-Instrument. Sein gesamter Gestus ist hochgradig stilisiert, wirkt kunstvoll, dabei mühelos und, wie bereits gesagt, geradezu unwirklich elegant – Jeff Mills ist ein Virtuose auf dieser Maschine und er will auch genau das sein. Das heißt aber auch, dass er die Maschine grundsätzlich anders denkt. In seiner Handhabung der 909 wird auch eine alternative Konzeptualisierung sichtbar und hörbar, die etwa den Seqeuncer nicht als Programmier-Interface, sondern als genuine Spielfläche versteht. Drehregler dienen nicht länger zur Einstellung fixer Werte, sondern als Möglichkeit der spielerischen, fortwährenden Gestaltung. Noch einmal anders: Jeff Mills spielt und denkt die TR-909 als sein Solo-Instrument.
»A musical instrument doesn’t become one by calling it an instrument, but by using it as such. But what, then, does it mean to use something as a musical instrument? What are the actions typically associated with musical instruments? And what, other than that, constitutes a musical instrument as such?«
Hardjowirogo, Sarah-Indriyati (2017): »Instrumentality. On the Construction of Instrumental Identity«. In: Till Bovermann/Alberto de Campo/Hauke Egermann/Sarah-Indriyati Hardjowirogo/Stefan Weinzierl (Hg.): Musical Instruments in the 21st Century. Identities, Configurations, Practices. Singapore: Springer Nature. S. 9-24.
Sarah Hardjowirogos Begriff von Instrumentalität wird in Jeff Mills TR-909 Workout präzise ausgearbeitet. Hier wird gar nicht zuerst der Künstler Jeff Mills, sondern vor allem die 909 als ein virtuos zu spielendes Musikinstrument inszeniert. Aus dem Computer Controlled Rhythm Composer, der auf den ersten Blick nicht nur was seine Gehäusefarbe angeht den behäbigen, eierschalenen Charme des Home-Computing der 80er teilt, wird damit – im buchstäblichen performativen Handumdrehen – eben ein Instrument.
Diese neue Instrumentalität der TR-909 ist dabei nicht einfach bloßer Effekt von Mills (fraglos vorhandener) Könnerschaft. Dass dieser so virtuos mit der Maschine umgehen kann, ist gerade andersherum das Ergebnis der neuen umfassenden technik/kulturellen Konstellationen, der neuen Dispositive, welche um die TR-909 herum in Detroit und Chicago (und wo auch immer) entwickelt wurden. Sein Spiel orientiert sich an etablierten gestalterischen Strategien, funktioniert im Rahmen einer Track-Ästhetik, die das fortlaufende Auf- und Abschichten immer neuer Layers, das Hinzufügen, Ineinander-Greifen und Entfernen verschiedener klanglicher Figuren und Elemente als ein Moment des Verbunden-Werdens zum Programm erhebt (vgl. Bonz 2015, S. 55ff.). Allein mit der TR-909, allein durch das Ein- und Ausfaden einzelner Instrumente, durch das kontinuierliche Verändern von Patterns und Klangeigenschaften bei laufendem Sequencer kann Jeff Mills so eine Track-Dramaturgie entspinnen.
Neben diesem Hintergrund einer Track-Ästhetik ist es aber auch insbesondere die visuelle Inszenierung der Performance, die am Instrument-Werden der TR-909 mitarbeitet. Der Künstler allein mit seinem Instrument. Kein Podest, kein Hocker, keine Lautsprecher – nur der kniende Jeff Mills vor seiner 909. Dazu der (paradoxe) Anspruch einer ›Live‹-Aufnahme, die dokumentarische Idee, die bloße Konfrontation von Virtuose und Instrument ungeschnitten einzufangen. Hier läuft also ein sehr altes, genialistisches Programm in Hintergrund mit, das so eher auf den Bühnen ernster Konzerthäuser zu vermuten ist, denn auf einer Techno-DVD-Produktion. Das emanzipatorische Moment in Jeff Mills Performance – das Ernstnehmen der Maschine als Musikinstrument – bekommt so einen leicht bitteren Beigeschmack. Muss das Festhalten an Konzepten wie Instrumentalität auch das gleichzeitige Fortbestehen eigentlich längst überkommener genialistischer Konzepte von künstlerischer Subjektivität in Kauf nehmen?
Während ich das schreibe, macht Jeff Mills völlig unbeeindruckt weiter. Die Kick-Drum schlägt mittlerweile angeswingte Sechzehntel, alles nimmt immer mehr Fahrt auf. Snare und HiHat stolpern über den bassigen Puls und verhaken sich ineinander. Es ist mittlerweile nicht mehr so leicht auszumachen, wer hier eigentlich mit wem spielt. »What is now becoming clear is that the composer is as much a tool as the tool itself, or even a tool for the machine to manifest its desires.« Vielleicht habe ich mich in die Irre führen lassen. Vielleicht ging es von Anfang an nicht um Jeff Mills Virtuosität. Vielleicht war er vor Anfang viel eher Instrument eines maschinischen Begehrens. Er be/dient die/der Maschine. Seine rastlosen Bewegungen haben etwas ungemein Feinfühliges, eine liebevolle Sanftheit. Auf jeden Fall hat das hier nichts mit Beherrschung, mit einem ›Mythos Kontrolle‹ zu tun (vgl. Großmann 2010, S. 196ff.). Mittlerweile setzen nach und nach die Instrumente aus. Jetzt laufen nur noch der Rimshot und die Toms, werden langsam leiser. Noch ein schneller, letzter Wirbel der Kick-Drum, dann ist es vorbei. Jeff Mills lächelt ganz leicht. Er sieht zufrieden aus.
Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.
Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 349-352.