Model 500 – No UFOs
Katalognummer M-001. Das erste Release auf Juan Atkins’ eigenem Label Metroplex veröffentlicht er als Model 500. Die Technifizierung des Eigennamens als Cyborg-Strategie, die posthumanistische Geste der selbstreferentiellen, heteronymischen Typenbezeichnung. Der erste Track dieses ersten Release, »No UFOs«, präsentiert bereits 1985 einen prototypischen Techno-Entwurf, also noch drei Jahre bevor das Genre überhaupt getauft werden wird. Andere Tracks hätten ihre Ansprüche angemeldet auf die genrebildende Grundsteinlegung – aber, so Ben Williams:
»›No UFOs‹ marked the first time that all the ingredients that went into techno coalesced into something more than the sum of their parts. It was post-human in affect if not quite in construction, deliberately using only machines and processing the voice heavily on those rare occasions when it was used. It was cinematic, evoking, by turns, gothic scenarios of decaying urban and transcendent images of consciousness riding the electronic airwaves. And […] it in-troduced a selfconsciously science-fictional music that predicted an information age that was then just emerging, but is now ubiquitous.« (Williams, Ben (2001): »Black Secret Technology. Detroit Techno and the Information Age«. In: Thuy Linh N. Tu/Alondra Nelson/Alicia Headlam Hines (Hg.): Technicolor: Race, Technology, and Everyday Life. New York: New York University Press. S. 154-176. Hier: S. 154 (Herv. MP))
Let’s ride some electronic airwaves through our (now? then? when?) ubiquitous information age then. Die Kick-Drum hämmert die Viertel ungerührt in die Zeit hinein. 124 Mal pro Minute. Auf der Zwei und der Vier ein herunter gepitchter Clap-Sound, der an klassisches Prince-Programming an der Linn-Drum erinnert. Auch die Kick könnte aus einer Linn-Drum oder einem Oberheim DMX stammen. Klingt nach Sample und weniger nach den bauchig synthetisierten Bass-Frequenz-Kanonaden von 808 und 909. Und trotzdem ist eine 808 hier erst einmal das heimliche Lead-Instrument. Deren unverkennbar zischende HiHats zerstückeln die Bass-Drum-Viertel weiter in Sechzehntel-Scheibchen. Immer wieder pfeifen offene Hats durch die Sechzehntel-Offbeats als würde Luft zwischen den undichten Fugen des Sequencer-Rasters entweichen. Alles hier steht irgendwie unter Druck. Darüber – je mit den offenen Hats zusammen – spielt der paradigmatische Cowbell-Sound der 808. Oszillator-Rauschen als Leitmotiv. Swoooosh! Plötzlich rauscht ein Tom-Sound einen Sechzehntel-Delay-Strudel hinab. Vier Takte darauf wird auch der Clap mitgerissen und trudelt triolisch um die Toms. Dieser Delay-Strudel ist ein Atraktor-Strahl, er kündigt den nahenden Erstkontakt an. Das Schiff landet – wie sollte es anders sein? – on the one als Synthie-Bass-Figur. HiHats und Claps umschwirren das Mothership. Eine DX100-Soundsonde wird abgekoppelt und beginnt über dem Bass zu kreisen. Irgendwo tief aus dem Innern seines Raumschiffs meldet sich schließlich der Astro-Traveller Model 500 höchstselbst zu Wort. »Coming very near.« Klappernde TR-909-HiHats begleiten das Ausfahren der Landungsbrücke während sich die DX-Sonde plötzlich in einen Flächen-Sound transmaterialisiert und die ganze Szene in gleißend blaues Licht taucht. »They say there is no hope, they say no UFOs. Why is no head held high, maybe you‘ll see them fly.«
»The government always tells people what to think about, and seems to cover up the existence of UFOs. [‘No UFOs’ is] about thought control – taking away people’s hope so that they don’t look towards the future.« (Juan Atkins zit. n. Sicko, Dan (2010): Techno Rebels: The Renegades of Electronic Funk. Second Edition. Detroit: Wayne State University Press. S. 49)
Model 500 steigt vom Himmel hinab, um Hoffnung zu bringen und die gesenkten Köpfe aufzurichten. Techno-Messianismus. Aber anders als der vielleicht erste furturhythmatische Weltraumoffizier Sun Ra gute zwanzig Jahre zuvor, kommt M500 nicht als gekrönte ägyptische Gottheit vom Saturn hinabgestiegen, sondern als seltsam amorphe, technoide Gestalt, die nur als diese heftig prozessierte Stimme überhaupt greifbar ist. M500 kommt nirgendwo her. M500 ist eine Effekt-Kette ohne Quelle. Eine Software-Identität, die sich über das techno-sonische Netzwerk aus TR-808 und MS-20, TR-909 und DX100 verteilt. Distributed (Techno-)Subjectification. M500 ist nicht Messias, sondern technutopische Verkündigung.
Der Track läuft mittlerweile drei Minuten. Bei 3:20 dann setzt die Kick-Drum plötzlich aus und macht Platz für eine Sechzehntel-Figur auf TR-909-Toms. Die Hats der 808 werden mit offenen Hats der 909 kurzgeschlossen. Dann ist auch der Sample-Clap wieder zurück und wird wie schon zuvor mittels Delay vervielfältigt. Die Oberflächen all der Maschinen bilden die Kommando-Zentrale dieses Raumschiffes. Step-Sequencer, Instrumenten-Fader, Hüllkurven, Klanggestaltung, Send-Effekt-Wege, Delay-Zeiten – all das sind Module, Kontrollterminals, an denen M500 sein Schiff navigiert. Ein Schiff, das aber längst nicht mehr vom menschlichen Durchgreifen eines Piloten zu steuern wäre, sondern ein Zusammenspiel der Maschinen notwendig macht – Konzertierung maschinischer Diversität anstatt menschlichem Kontrollphantasma. Autopilot.
M500 kreist immer weiter über den Köpfen, die er auffordert, ihren Blick gen Himmel zu richten. »Maybe you‘ll see them fly, fly, fly…« Mit einem weiteren Wirbel aus 909-Toms beschleunigt das (No) UFO nach guten sieben Minuten erneut auf Start-Geschwindigkeit. Und so plötzlich, wie es hinabgestiegen war, entschwindet es auch wieder in die Stratosphäre. Ein paar Kick-Drums purzeln noch herum wie aufgewirbelter Staub. Dann ist es still.
Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.
Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 319-321.