Phil Collins – One More Night
Es ist der letzte Song auf A-Seite. Ich höre Phil Collins 1985er Album No Jacket Required. Hier – eigentlich meilenweit im Abseits des futurhythmatischen Kontinuums – werden die Roland Maschinen bei Phil Collins zu Pop-Stars. »One More Night« schließt die A-Seite mit einer 808-Ballade in B-Dur. Auch auf »Take Me Home« wirbeln 909-Rimshots und -Toms. Es spielen außerdem eine Oberheim DMX auf dem Opener »Sussudio« sowie eine Linn Drum auf »Only You And I Know« und »Don’t Loose My Number«. In den Linernotes werden die beteiligten Maschinen verlässlich angegeben. Ein Fairlight CMI sei allerdings nicht zu hören, ist es – warum auch immer? – denselben Linernotes wichtig festzuhalten: »There is no Fairlight on this Record.«
Ich höre nur die ersten Takte von »One More Night« und bin beinahe ein wenig erstaunt über die geballte Historizität dieses Sounds. Das glockige E-Piano muss ein DX7 sein. Ein etwas überdimensionierte Hall zieht seine wattige Fahne hinter die 808-Snare. »I’ve been trying oh so long…« Der Song klingt so eindeutig nach den 80er Jahren, wie es nur geht. Natürlich weiß ich, schon bevor ich die Nadel aufgesetzt habe, was mich erwartet. Unzählige Male muss ich den Song im Radio gehört haben. Aber die TR-808, die hier einen so entscheidenen Teil der sparsamen Instrumentierung ausmacht, ist mir erst spät bewusst aufgefallen. Abgesehen von der Snare, die prominent den Backbeat in ihren zuckrigen Hallraum taucht, bleiben die restlichen Sounds eher im Hintergrund. Leise tänzeln die HiHats auf den Sechzehnteln, hin und wieder versichert eine typische offene Hat auf dem Off-Beat noch einmal, dass hier auch wirklich eine TR-808 den Sideman gibt. Die Kick duckt sich im einleitenden Refrain noch unter lange gehaltenen Synthie-Bass-Noten, erst in der Strophe ist sie deutlicher zu hören. Schnörkellos spielt sie die Eins und die Drei mit unaufgeregten Vorschlägen. Rund und dicht klingt diese Kick-Drum, aber ihr fehlt all die aggressiv durchkomprimierte Massivität, die ich mit einer prototypischen 808-Kick eigentlich assoziiere. Phil Collins’ 808-Sounds sind zwar sofort als solche zu erkennen – und doch klingen sie ganz anders. »I’ve been sitting here so long, waisting time.« Die letzten Zeilen der Verse in der Strophe lassen sich ein Delay hinabsinken. »Maybe you’re not alone.« Im dritten Refrain kommen Claves und Conga-Sound hinzu und fügen sich ebenso dezent in das Pattern ein.
»Roland was great a making machines that had individual and original sounds, so it was very useful to have that as a kind of colored background […] to write on.«
Phil Collins zit. n. Atlantic Records // youtube (2017): »808 The Movie: Phil Collins Full Interview«.
Auf youtube sehe ich das Interview, das Collins im Rahmen der Dreharbeiten für die große 808-Dokumentation gegeben hat. Er beschreibt, wie er die Maschinen zum Songwriting genutzt hat, während er weitgehend alleine an seinem Post-Genesis Solomaterial arbeitete. Wieder so ein rhythmatischer Solipsismus – wie schon bei Sly Stone oder Shuggie Otis, bei J.J. Cale oder Timmy Thomas.
»And I think as a writer it was a fantastic tool, and as a drummer who writes… and I used to do all this stuff on my own, I didn’t have any help and I didn’t have any other musicians. So it really was a way of not just of keeping time, you know, but it was something that you could put down and then you knew that you could play drums over it. I mean, I very rarely used the snare drum and the bass drum for example, I used all the tom-toms and the bongos, the conga sounds they had, shakers, things that would really be almost like a percussionist to my drumming.«
Phil Collins zit. n. ebd.
Die TR-808 als Perkussionistin, als einzige Begleitung. Ich höre den Song zum wiederholten Mal, gewöhne mich immer mehr an den Sound, dessen überbetontes Höhenband ich im ersten Durchgang noch kitschig fand. Immer besser gefällt mir die Produktion, die mit eigentlich so wenigen Elementen einen so vollen Hochglanz-Popballaden-Sound realisiert. Der Song klingt absolut durchproduziert und behält sich trotzdem einen skizzenhaften Charakter. Phil Collins am Keyboard, dazu die stetig laufende Maschine, so stelle ich mir die Szenerie vor. Absoluter Songwriter-Kitsch also. Aber wenn ich mit Kitsch an dieser Stelle noch ein Problem hätte, wäre ich spätestens nach der letzten Runde des Songs ohnehin längst ausgestiegen. Wie funktioniert das, dass diese Maschine, die immer im Verdacht steht, ›kalt‹ oder ›technoid‹ zu klingen, zu Beginn der 80er Jahre auf dieser schmalzigen Ballade auftaucht – oder eben neben Marvin Gayes’ therapeutisch explizitem Crooning auf »Sexual Healing« – und dass sie, die Maschine, sich dort einfügt, als wäre das immer schon ihr eigentlicher Bestimmungsort gewesen?
»Well, I don’t think of it as a cold sound […] I think the general concerns [are that] drum-machines are automatic and rigid and relentless. I used the word relentless but I meant that in a way that you probably put better as ›non-stopping‹.«
Phil Collins zit. n. ebd.
Phil Collins bringt noch einmal auf den Punkt, was wohl schon Sly Stone und J.J. Cale an der Rhythmus-Maschine schätzten: Dass sie läuft – und das (zumindest potentiell) immer schon. Solange sie nur verlässlich nicht aufhört, ihren Takt zu schlagen, kann die Session weitergehen. Vielleicht werden einzelne Sounds später durch ›Real Drums‹ ersetzt, vielleicht auch nicht. Und wieso überhaupt? Vielleicht ist diese runde und eben durchaus sanfte Schichtung aus Sinus und Rauschen viel besser für die große Ballade geeignet, als das Scheppern von ›echten‹ Snares und HiHats. Vielleicht war der am Drum-Set gespielte Rim-Shot eigentlich immer schon ein hilfloser Versuch, genau so rund zu klingen wie ein 808-Rim-Shot.
Wie auch immer – die Sache ist nicht eindeutig. Und das gilt natürlich auch für die Rhythmus-Maschine an sich. Die ist weder notwendigerweise futuristisch noch fortschrittlich. Sie kann auch durch und durch kitschig klingen und dabei alte künstlerische Subjektpositionen ›non-stop‹ am Laufen halten. Der Junge mit der Gitarre. Der einsame Producer-Künstler mit der Drum-Machine. Und das klingt dann auch noch gut. Vielleicht auch ein Ergebnis des freundschaftlichen Verhältnisses, das Collins zu seinen Maschinen pflegte…
»I used drum-machines as a tool […] and for me it opened up my world for writing. I never had anything other than a friendly relationship with it.«
Phil Collins zit. n. ebd.
Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.
Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 305-308.