Prince – Purple Music
Tschack! Bumm! Schon mit der ersten Snare gibt es kein Halten mehr. Das Ding läuft. Eins. Zwei. Drei. Vier. Kick. Snare. Kick. Snare. 140 BPM lassen kaum Zeit zum Luft-Holen. Ein Stick-Sound hält die Off-Beats in Bewegung und wirbelt ein, zwei Sechzehntel um die Eins herum. Nach vier Takten Intro: Doppelschlag auf Kick und Snare und plötzlich ein Minimal-Synth/Orgel-Basslauf im linken Kanal. Drei kurze, gut gezielte Noten auf den drei ersten Schlägen, in kleinen Schritten aufwärts. Auf der nächsten Eins von vorne, nur dass dieses Mal die zweite und dritte Note nicht warten wollen und auf die Schläge 1-und-e und 2-und vorgezogen werden. Trotzdem – bei aller Ungeduld – lassen sie sich Zeit, landen, wenn auch nur Millisekunden, hinter den metronomisch anvisierten Schlägen und (ver)zögern damit, wie subtil auch immer, das stetige Nach-Vorne-Preschen der Kick-Snare-Lokomotive.
(Sich-)Zeit-Lassen – das ist überhaupt eine gute Überschrift für das, was Prince hier macht. »Purple Music«, eine skizzenhafte, nie offiziell veröffentlichte Aufnahme von 1982, ist ein Paradebeispiel für den neuen Stand der Funk-Maschine, den ›The Purple One‹ in den 80er-Jahren einläutet. [Hold up! Mit der 2019er Wiederveröffentlichung des Albums 1999 in einer umfangreichen ›Super Deluxe‹ Version wurde auch »Purple Music« erstmals in einer ausproduzierten Studio-Version veröffentlicht. Die zuvor kursierende Bootleg-Version ist seitdem von youtube gesperrt. Oben findet sich die offizielle Version eingebunden, die also anders klingt, als das, was hier ›gehört‹ wird.] Der vorläufige Charakter der Produktion, die fragwürdige Klangqualität der Bootleg-Versionen, die sich im Internet finden, beides verstärkt eher noch den Reiz dieses Tracks, als dass es ihm im Weg stünde. Nach acht Takten jedenfalls doppelt ein dick und breit zentral platzierter E-Bass den Lauf. Es zischt kurz, etwas wirbelt durch die Luft und Princes seltsam dünn gemischte Vocals setzen ohne weitere Vorwarnung ein. »Don’t need no reefer, don’t need cocaine. Purple music does the same to my brain. I’m high.« Den Hinweis auf den musik-induzierten Rauschzustand beantwortet Prince sofort, indem er mit ein paar ultralässigen Funk-Gitarren-Chords in die weit offen stehenden Off-Beats des Drum-Pattern hineingrätscht. »So high.« Der so typische, herunter gepitchte Clap seiner Linn Electronics LM-1 ergänzt jetzt den Backbeat.
Die getreue Drum-Machine bildet auch in diesem Track den unbestrittenen Vordergrund. Über mehr als zehn Minuten Laufzeit hält sie alles in stetiger Vorwärts-Bewegung. Beginnt Prince die nächste Strophe wirklich mit einem Hinweis auf die wegen des begrenzten Speicherplatzes nicht vorhandenen Beckenklänge der Maschine? »Don’t need no cymbals, no saxophone. Just need to find me a style on my own. I’m high.« Könnte auch ›symbols‹ heißen sollen. So oder so. »So high.« The artist later known as ›The Symbol‹ ignoriert jedenfalls alle ›special timing circuitry‹ seines maschinischen funky Drummers. Ein ›Human rhythm feel‹ ist seine Sache nicht. Wie gesagt, Funk war immer schon eine Maschine. Die Sechzehntel rattern absolut gerade. Funkyness ist hier sicher keine Frage des Swing-Prozentsatzes. Princes ultragerader Maschinen-Funk verschiebt alles in die Zwischenräume.
»And then there’s that thing that soul music does so well: the tension comes from not moving. In rock music there are great dynamics […] but in soul music the tension comes from: ›Stay right there, just stay right there!‹ And those were the two words that Prince used to say to his band all the time in rehearsal. When they get in the sweet spot with the groove he’d say ›Don’t move, don’t move!‹«
Susan Rogers
Susan Rogers, Princes Tontechnikerin und maßgebliche sensorische Ingenieurin zwischen 1983 und 1988, beschreibt im Interview diese so paradoxe Funkyness der beinahe (aber eben nur beinahe!) absoluten Geradlinigkeit. »The immensely hypnotic effect of the perfect time-keeping of a machine.« Die Sache am Laufen halten – don’t move! – , immer weiter, ist ein Moment der Ent- und der Anspannung zugleich. Nein, vielleicht besser: der Einspannung. Einer Einspannung nämlich des hörenden, tanzenden Körpers in die komplexe Mikrozeitlichkeit(en) des Tracks. Die verschiedenen Pulsebenen ziehen und zerren an unterschiedlichen Teilen des Körpers, scheinen auseinander zu laufen, beginnen kaum merklich zu driften, und bewegen sich dabei doch stetig in eine gemeinsame Richtung. Die Maschine läuft, indem sie auseinander läuft. »Die Maschine […] wird von einem Wunsch nach Aufhebung bearbeitet. […] Die Differenz, die die maschinische Autopoiese mit sich bringt, beruht auf dem Ungleichgewicht, auf der Erkundung von virtuellen Universen fern des Gleichgewichts.« (Guattari, Félix (2014): Chaosmose. Wien: Turia + Kant. S. 52)
Wie auch immer. Wenn ich also zu »Purple Music« tanze, muss ich mich jeden zweiten Takt auf’s Neue entscheiden: Tanze ich auf die ganzen Schläge, die in einer ununterbrochenen Salve aus Kick und Snare in aller Exaktheit abgefeuert werden? Oder verschiebe ich meine Bewegungen in den Dreier-Puls, den die Bass-Figur sich darüber ausbreiten und gleich darauf wieder verschwinden lässt? Oder aber – dritte Möglichkeit – ich lasse die Heterochronizität beider Pulse meine(n) Körper durchzucken. »Just let the purple music tell my body what to do.« Temporäre/temporale Diversifizierung leiblicher Ein-Heit? Zweigleisige durée? Können meine Füße nicht um eine andere Zeitlichkeit herum tänzeln, als jene, von der mein Oberkörper umhergeworfen wird?
»The feet that move, the hips which swivel in time, the head which nods, the nerves which pulse: all the body counts. To get funked up is to acclimatize yourself to the endless complexification of these states, to be sensualized by all the processes that process you.«
Eshun, Kodwo (1998): More Brilliant than the Sun. Adventures in Sonic Fiction. London: Quartet Books. S. 152.
Um den Funk-Groove abzuzählen, kommt der gesamte Körper zum Einsatz. All the body counts. Oder, nein, andersherum: Der Funk-Groove zählt die Ungleichzeitigkeit(en) des Körpers auf. The processes that process you… Groove ist ästhetisch-epistemische Praxis, das (An)Erkennen von Heterochronizität, die ästhetische Erfahrung einer irreduziblen Diversität der Zeit-Regimes.
»Next page!«
Prince groovt mittlerweile seit Minuten absolut eingespannt diesen Track entlang. Die LM-1 haut ein paar Snares auf die Achtel. Kurz darauf laufen Snare und Clap plötzlich aus der Bahn und in ein ultrakurzes Delay hinein. Der Backbeat beginnt jetzt immer wieder angedubbt zu schnarren. Völlig absurde Hallräume öffnen sich für kürzeste Zeit, nur um gleich darauf wieder ins sich zusammen zu stürzen. »Funk is extraterrestrialized through the mixing desk.« (Ebd., S. 146) Der Text ist auch längst durch, aber das ist vollkommen nebensächlich. Einfach von vorne beginnen. Immer dann, wenn ein wenig die Luft raus zu sein scheint, spielt Prince einen genialen Lauf auf der Gitarre oder sprenkelt ein wenig E-Piano über die LM-1 und das ganze läuft wieder. »Funk is a thermostatic device that alters environments.« (Ebd., S. 147) Seine Stimme wandert durch das Panorama, rutscht an die Seite, als würde er kurz ausscheren, um diese LM-1-Funk-Maschine von außen zu betrachten, die er da in Gang gesetzt hat. Sie noch zu stoppen scheint mittlerweile unmöglich. Sieben, acht Minuten, dieser Track kann nicht enden, weil er immer schon läuft. Das Drum-Pattern variiert jetzt immer wieder, wirbelt ein paar Kick-Drums über die Sechzehntel, aber der Backbeat läuft weiter. Painting It Purple. Prince lässt einfach die Maschine laufen, bis ihr stoische Preschen schließlich auf seinen Funk-Gitarren-Sprenklern ins Rutschen gerät. »Funk becomes mobile audioarchitecture, the simultaneous sliding of rhythmic strata.« (Ebd., S. 149) Wenn Groove die Vertrautheit mit maschinischen Zeitregimes ist (Oliver), dann kennt niemand die LM-1 besser als Prince.
Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.
Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 422-425.