J. J. Cale – River Runs Deep
»There is no doubt that the blues has a privileged position in pop’s metaphysics of presence: the image of the singer-songwriter alone with his guitar provides rockism with its emblem of authenticity and authorship.«
Fisher, Mark (2013): »The Metaphysics of Crackle. Afrofuturism and Hauntology«. In: Dancecult: Journal of Electronic Dance Music Culture, 5 (2). S. 42-55. Hier: S. 52.
»The river runs deep / and the water is cold as ice« J.J. Cale hat den Blues. J.J. Cale steht an den Crossroads. Er watet durch das eiskalte Wasser des Arkansas River, der sich langsam an seiner Heimatstadt Tulsa, Oklahoma, entlang windet. Deren Blues-Sound wird Cale berühmt machen. Sein minimalistisches Gitarrenspiel wird Eric Clapton und viele andere beeinflussen. Aber bis dahin wird noch viel solches eiskaltes Wasser den Arkansas River hinab fließen. 1971 veröffentlich Cale sein Debütalbum mit dem bezeichnenden Titel »Naturally«.
Der Track »River Runs Deep« läuft immer schon. Wie der Fluss eben. Er fängt nicht wirklich an, das Pattern der Rhythmus-Maschine ist einfach da. Zwei Gitarren schwappen links und rechts im Panorama an dem einsamen Pattern hoch. Eine dritte tänzelt mitten über die Wellen. J.J. Cales Vocals setzen absolut schnörkellos, ohne jeden Pathos ein und auch er kehrt an den Fluss zurück. »I go down there every chance I get / It’s where my baby she met her death« Dieser eiskalte Fluss spült die dunkelsten Augenblicke hoch. Aber er reißt sie nicht mit sich, spült sie nicht fort, lässt sie nicht vergehen. Er lässt sie kreisen, bis sie dich in ihren Strudel hinabziehen. »The River runs deep / and the water is cold as ice …«
J.J. Cales Tulsa-Blues läuft immer schon. Wie der Fluss eben. Und er ist damit – immer schon – Track-Musik. Weil er ohne das melodramatisch narrative Drumherum der Liedform auskommt. Weil er die Gemeinsamkeit der Band gegen die Einsamkeit der Multitrack-Bluesgitarre tauscht. Weil er Soundschichten übereinander laufen lässt, wie die Teilströmungen dieses eiskalten Flusses. Und, vor allem, weil er weiß, dass der Blues immer schon eine teuflische Maschine ist. Frag mal Robert Johnson …
J.J. Cales Maschine – wir wissen nicht, wo er sie her hat, an welcher Kreuzung, zu welchem Preis er sie ergattert hat – ist ein Rhythm Ace FR-3. Ein Koffer, kleiner als der Vorgänger, mit mehr Patterns zur Auswahl, und zusätzlichen Variationsmöglichkeiten. Ein ›Tone‹-Regler lässt zum Beispiel die rauschenden Becken-Instrumente zurückdrehen und so nur die Sticks, Toms und Kick-Drums spielen. Auf vier der insgesamt zwölf Tracks von Cales LP-Debüts ist die Rhythmus-Maschine deutlich zu hören. Und auch die anderen klingen meist so tight, dass davon auszugehen ist, dass während der Aufnahme irgendwo auch das Rhythm Ace seine Runden drehte. »River Runs Deep« ist das Stück des Albums, das am explizitesten an den mythischen Ort des Blues zurückkommt. Und die Maschine ist nicht zu überhören. »She’s at the bottom of the river dead / And the river runs deep and the water is cold as ice …«
Das Pattern läuft und spült noch etwas hoch: »Ain’t no woman gonna make a fool out of me«. Der Bluesman, der hier scheinheilig im eigenen Leid schwelgt, ist vielleicht selber der Mörder. Femizid-Motive haben im Blues eine schreckliche lange Geschichte. J.J. Cale watet hier mitten hindurch. Das Pattern aber, in dem er diese Grausamkeit versenkt, ist für sich genommen alles andere als Blues-verdächtig. Es handelt sich um das Samba-Preset der FR-3. Bei weit niedrigerem Tempo, als es für eine Samba je üblich wäre, hat Cale die Rauschinstrumente per Regler ausgeblendet und es bleibt nur das langsame Trotten der Toms. Sonst passiert nichts. Das Pattern läuft.
Der Songwriter mit seiner Gitarre, dieses rockistische »emblem of authenticity and authorship« (Fisher 2013, S. 52), besingt das Urmotiv des Blues, die Ausweglosigkeit, die ständige Rückkehr an das eisige Ufer des Flusses. Jene Gewalt aber, die von ihm selber ausgeht, wird von den Wellen immer nur umspielt, kommt in ihrer Grausamkeit kaum an die Oberfläche. Kalter Schweiß tropft, das Griffbrett knarzt. Gibt es ein treffenderes Bild für den hochproblematischen Authentizitäts-Fetisch in der Rockmusik? J. J. Cale aber spielt den Blues über ein Klischee von einem Latin-Preset aus seiner japanischen Rhythmus-Maschine.
Ich möchte diesen FR-3-Blues anders hören: All die Phantasien handgemachter, ehrlicher Rockmusik werden mitgerissen und weggespült im gurgelnden Strom der laufenden Maschine. Das wäre allemal ehrlicher, auch wenn die spezifisch männliche Gewalttätigkeit damit kaum abzuwaschen sein wird. Der Blues verspricht keine Hoffnung. Der Blues, der Fluss, die Maschine – sie laufen, immer schon und immer weiter. An ihrem Anfang finden sich keine Quelle irgendeines authentischen, aufrichtigen Ausdrucks, an ihrem Ende keine Befreiung. Überall Rinnsale und weitere Rinnsale.
Diese Listening Session ist Teil des Buches ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen von Malte Pelleter. Das Buch ist hier als Open Access Veröffentlichung frei verfügbar.
Zitation: Pelleter, Malte (2020): ›Futurhythmaschinen‹. Drum-Machines und die Zukünfte auditiver Kulturen. Hildesheim: Olms und Universitätsverlag. Hier: S. 229-231.