von Jan-Alexander Krause
Annika Hachmeister und Frieder Behrens zeigen mit dem Telemin, wie man mit einem einfachen Teleskopstab, wenigen Sensoren und Computer ein innovatives Musikinstrument fertigt. Hierbei eröffnen sich neue performative Konzepte sowie Einblicke in die digitale Klanggestaltung. Für Musiker*innen bietet das Telemin als Interface Gelegenheit, Barrieren zu digitalen Instrumenten zu überwinden und interpretative Zugänge zu gewinnen.
Ein treibender Puls durchzieht droneartige Soundflächen, dazwischen schwebende Klänge, die an Sirenen erinnern – die Vorstellung des Telemin im Seminar Klang, Raum, Bewegung wird zum einnehmenden Klangerlebnis. Insgesamt sind drei unabhängige Software Synthesizer hörbar, die gemeinsam über das Telemin als Hardware Interface gespielt werden. Die Kopplung von analogen Bewegungsabläufen und digitaler Klangsynthese führt so zu einem Instrument mit vielschichtigem Sound und erlaubt dabei neue, unkonventionelle Gesten innerhalb der Interaktion zwischen Mensch und digitalen Instrument. Dabei könnte das Telemin selbst – würden seine Sensoren nicht so geheimnisvoll blinken – unscheinbarer kaum sein. Es besteht im wesentlichen aus einem simplen Teleskopstab, dessen einzelne Elemente mit Sensoren bestückt sind. Diese erfassen Neigung und Entfernung als quantitative Messgrößen und erheben auf diese Weise Steuerdaten für die Synthesizer.
Namensgebend für das Telemin ist eine Kombination der Wörter ‚Teleskop‘ und ‚Theremin‘, erläutert Frieder Behrens: „Ersteres bezieht sich auf die zu Nutzen gemachte Auszieh- und Drehfunktionen des Stabs. Der zweite Wortteil bezieht [sich] auf das 1920 von Leon Theremin erfundene Instrument, welches sich ebenfalls durch Körperbewegungen spielen lässt und einen wichtigen Wegbereiter für die spätere Erfindung von Synthesizern darstellt.“
Für Frieder Behrens gestaltet sich das Telemin als Weiterentwicklung der Tonangel. 2018 hat er bereits ein ähnliches Instrument aus einer Angelrute konzipiert, mit dem sich schnelle, einstimmige Tonfolgen spielen lassen. Beim Telemin stehen nun weniger die Töne im Vordergrund . „Die klangästhetische Vision war, ein Instrument zu schaffen, dass durch behutsame Bewegungen feinfühlig und wohlkontrolliert synthetische Klänge moduliert.“ Das Ergebnis sind „Drone- oder Noise-artige Soundflächen, die weniger durch ihre rhythmischen und harmonischen Strukturen bestechen, sondern durch das Modulieren des synthetischen Klangs.“
Annika Hachmeister hat beim Telemin nicht nur mit getüftelt, sondern das Instrument zu ihren Lehrforschungsprojekt gemacht. In ihrer Arbeit beleuchtet sie die Konzeption von klassischen wie digitalen Instrumenten und interessiert sich dabei besonders für dessen performative Wirkung bei einem Publikum, dass dem Spiel nicht nur zuhört, sondern eben auch visuell folgt. Auf der visuellen Ebene tritt der performative Charakter demnach grade bei digitalen Musikinstrumenten in den Hintergrund, wenn hier vornehmlich bloß Knöpfe gedreht und Fader geschoben werden. Instrumente wie das Telemin sollen dagegen eine Nachvollziehbarkeit für das musikalische Geschehen fördern und bieten der Künstler*in Gelegenheit, ausdrucksstark auf das Instrument einzugehen, um im Spiel Eins mit ihm zu werden.
Passend dazu wird nun im schriftlichen Interview mit Annika Hachmeister und Frieder Behrens unter anderem die Unterscheidung zwischen klassischen- und digitalen Instrumenten thematisiert und am Beispiel des Telemins über dessen gemeinsame Zukunft spekuliert.
Interview
Zum Einstieg: Gibt es persönliche musikalische Hintergründe und haben diese ggf. inspiriert und zur Konzeption des Telemins beigetragen?
FB: Ich setzte mich seit ca. 10 Jahren mit Ableton auseinander. Früher habe ich Jazzmusik gemacht, was im Vorgänger des Telemins, der Tonangel, zum Vorschein kam. Bei der Konzeption des Telemins war es mehr das Interesse an elektronischer Musik, was sich durchsetzte.
AH: Ich komme eher aus Musikrichtungen mit klassischen Instrumenten und konnte durch das Telemin die digitale Schaffensweise von Klang und Musik besser nachvollziehen. Daher finde ich auch die Schnittstelle aus Musikinstrument, Technik und kreativem Schaffen sehr spannend.
Was macht ein Musikinstrument zum Musikinstrument – bzw. aus welchen Komponenten besteht ein Instrument im klassischen Sinne?
AH: Musikinstrumente sind sehr vielseitig und divers. Nach dem Instrument Building Discourse kann man sagen, dass klassische Musikinstrumente solche Instrumente sind, die von einer Person gehalten und durch physische Interaktion ihrer spezifischen Eigenschaften bespielt werden.
Ein klassisches Musikinstrument besteht meistens aus drei Einheiten: einer Kontrolleinheit (Bsp. der Bogen einer Geige), einem Sound Generator (der Korpus) und einer Verbindung (Brücke) zwischen den beiden. Bei einem akustischen Instrument ist die bespielbare Oberfläche (Interface) gleichzeitig mit dem Sound Generator verbunden und der Zusammenhang zwischen Art der Bespielung (Kontrolle durch Gestik) und dem entstehenden Klang ist statisch.
Was ist bei einem digitalen Musikinstrument wie dem Telemin anders – worin unterscheiden sich digitales- und nicht-digitales Instrument?
AH: Beim Telemin ist die Klangproduktion nicht grundsätzlich an bestimmte Gesten gebunden, diese haben wir absichtlich so festgelegt und programmiert. Außerdem ist der Sound Generator auch nicht das gleiche physische Objekt wie die Kontrolleinheit. Die Teleskopstange des Telemins und die daran befestigten Sensoren sind digital mit dem Interface auf einem Computer verbunden.
Woraus setzt sich die Hardware des Telemins konkret zusammen und welche Software-Komponenten werden damit angesteuert?
FB: Das Telemin besteht aus einem mehrteiligen, ausziehbaren Teleskopstab. Dieser ist mit insgesamt fünf Sensoren ausgestattet, die hauptsächlich Neigungen zur Erdachse messen. Die einzelnen Teleskopelemente, die jeweils mit einem Sensor ausgestattet sind, lassen sich unabhängig voneinander drehen. Dadurch entsteht eine Vielzahl von Bewegungen, die durch die Sensoren erfasst werden können.
Die von den Sensoren erzeugten Daten werden kabellos an einen Empfänger gesendet, der diese via USB an den Computer weitergibt. Die dort empfangenen Daten werden über das Nachrichtenprotokollformat Open Sound Control (OSC) bereitgestellt. Mit einem von Prof. Rolf Großmann geschriebenen Patch für Max for Live können die OSC-Daten in Ableton Live implementiert und anschließend Parametern zugeordnet werden.
Mit den durch Bewegungen erzeugten Daten lassen sich insgesamt drei Stimmen von Softwaresynthesizern modulieren. Durch das Neigen des gesamten Stabs, das Drehen einzelner Teleskopelemente sowie das Nähern und Entfernen einer Hand lassen sich Parameter wie Lautstärke, Tonhöhe und Akzentuierung der einzelnen Synthesizerstimmen steuern.
Interface und Klangerzeugung des DMIs werden erst durchs Mapping miteinander verbunden. Was war beim Telemin zuerst da, Klang oder Interface – und wie hat das Eine zum Anderen gefunden?
FB: In diesem Falle war in der Praxis ganz klar das Interface zuerst da. Zwar gestaltete sich die Suche nach einem geeignetem Teleskopstab zunächst als etwas mühselig (der schlussendlich gekaufte Stab soll laut Hersteller eigentlich dazu dienen, mit Hilfe des an der Spitze angebrachten Magneten Metallteile vom Boden aufzuheben), so war das anschließende Anbringen der Hardware eigentlich recht überschaubar – die Idee, einen Teleskopstab mit Sensoren auszustatten, bestand bereits aus einem vorherigen Projekt. Anschließend begann das Mapping, was deutlich arbeitsintensiver war.
In der Theorie wurde jedoch beides von Beginn an zusammen gedacht. Bereits bei der Auswahl der Teleskopstabs bestanden Vorstellungen davon, welche Eigenschaften dieser hinsichtlich seiner späteren Spielbarkeit mitbringen sollte. So sind die einzelnen Elemente des Stabs– im Gegensatz zu seinem Vorgängerprojekt – recht starr. Sie lassen sich in eine Position drehen und verbleiben von alleine in dieser. Die klangästhetische Vision war, ein Instrument zu schaffen, dass durch behutsame Bewegungen feinfühlig und wohlkontrolliert synthetische Klänge moduliert. Die klanglichen Reaktionen auf entsprechende Bewegungen des Stabs sollen in einer für Spielende und Zuhörende nachvollziehbaren Relation stehen.
Kann es überhaupt sowas wie ein fixes Klangkonzept für ein digitales Instrument Interface geben – oder ist das Interface hier viel mehr ein universeller Controller?
FB: Die Konfiguration aus Stab, Sensoren und anschließender Verarbeitung der entstehenden Daten bietet vielfältige Optionen. Aus dieser Perspektive schöpft das Telemin in seiner jetzigen Form nur einen Bruchteil der klanglichen Möglichkeiten aus. Die künstlerische Herausforderung ist, die erzeugten Daten in Ableton sinnvoll und ästhetisch zuzuordnen. Insofern denke ich, dass es kein „fixes Klangkonzept“ für ein solches Interface geben muss, auch wenn sich sicherlich grob einordnen ließe, welche Klangkonzepte für die Bewegungsmöglichkeiten des Stabs geeigneter wären und welche nicht.
Wurden performative Qualitäten bei der Konzeption des Telemins mit eingeplant? Live Performances leben ja nicht nur von Klang und Komposition eines Musikstücks, sondern auch von der expression der Musiker*in auf visueller Ebene.
AH: Das Erlebnis der LivePerformance zu verbessern war eines unserer zentralen Ziele bei der Entwicklung des Telemins. Ob es im Sitzen oder Stehen gespielt werden kann, ist eine wichtige Frage. Auch das Starten und Beenden des Spielens gehört zu der Performance und funktioniert bei dem Telemin ohne das Drücken eines „Start“-Knopfes. Dadurch hat es mehr Ähnlichkeit mit klassischen Instrumenten und grenzt sich von anderen DJ-Performances ab.
FB: Nein, richtig präsent waren die Möglichkeiten der Performance zumindest bei mir zunächst nicht. Die Präsentation des Telemins hat aber gezeigt, dass dies ein sehr spannender Punkt ist. Bei der Vorstellung bejahten viele Kommilitionen die Frage, ob die klanglichen Ergebnisse entsprechend der Bewegungen nachvollziehbar seien, was mich sehr freute.
Was macht ein gutes digitales Instrument eurer Meinung nach aus?
AH: Ein gutes digitales Instrument charakterisiert sich für mich durch seine Kombination aus technischer Anwendung und kreativer Klangerzeugung. Technik und Kunst muss in dem Instrument zusammenkommen, da das eine nicht ohne das andere funktioniert. Sowohl in der Spieler*in als auch in der Zuhörer*in muss es Neugierde, Interaktion und Spaß erzeugen. Für mich persönlich ist besonders die Performativität wichtig und die Art und Weise wie die Funktion des Instruments an seine Zuhörer*innen vermittelt wird.
FB: Es muss in seiner Konfiguration aus Hardware, Software, Interface und Spielbarkeit schlüssig und inspirierend sein.
Gängige DMI Interfaces sind beispielsweise durch die MPC mit anschlagdynamischen Pads oder Midi Keyboards mit Klaviatur gegeben. Inwiefern legt das Telemin im Vergleich andere ästhetische Strategien nahe? Wirkt sich das Telemin als Interface auf die Klangästhetik der Musik aus?
FB: Zur Veranschaulichung, bzw. für eine Möglichkeitenanalyse des Telemin finde ich persönlich einen Vergleich zu gängigen DMIs brauchbar. Das Pad einer MPC eignet sich beispielsweise sehr gut, um metrisch präzise Rhythmen zu erzeugen – was hingegen mit dem Telemin überhaupt nicht möglich ist. Dahingehend wirkt sich die Beschaffenheit und Spielbarkeit des Interfaces ganz eindeutig auf die Klangästhetik des Instruments aus. Dies ist genau die künstlerische Herausforderung, die nach der Einrichtung der Hardware besteht. Die im Falle des Telemins erzeugten Daten sind stellenweise nicht ganz „stimmstabil“ – trotz vermeintlich still gehaltenem Stab, erzeugen die Sensoren schwankende Daten. Ein Umstand der beim Mapping des DMIs mit bedacht werden muss – und bei dem gängige Interfaces vielleicht im Vorteil sind. Im Gegensatz zu einer Pianotastatur eines Keyboards aber kann man sich mit dem Telemin problemlos von jeglicher 12-Ton-Rasterung verabschieden. Darüber hinaus lassen sich einzelne Stimmen theoretisch auf viel mehr Parametern bedienen, als es etwa nur Tonhöhe und Anschlagstärke. Alles Faktoren der Beschaffenheit des Interfaces, die bei der Entwicklung der Klangästhetik eine Rolle spielen müssen.
Wird es in Zukunft mehr Interfaces mit ähnlicher Sensorik und Spielbarkeit wie dem Telemin geben?
FB: Das hoffe ich!
AH: Insgesamt wird es auf jeden Fall mehr digitale Musikinstrumente geben, da die benötigte Technik zum einen preisgünstiger und zum anderen auch leichter zugänglich wird und sich somit mehr Künstler*innen damit beschäftigen werden. Die von uns verwendeten MiniBee Sensoren eigenen sich hervorragend für die Konstruktion von sensorbasierten DMIs. Ich könnte mir diese Instrumente auch in der „normalen“ Musikwelt vorstellen und nicht nur im innovativen, akademischen Kontext.
Zum Schluss: Wie viel klassisches- und wie viel digitales Instrument steckt im Telemin?
AH: Ich würde sagen [im Telemin steckt] mehr digitales als klassisches. Da wir kein klassisches Instrument als Vorlage oder direkten Vergleich vorliegen haben und die physische Struktur so anders als die von klassischen Instrumenten ist, gehört das Telemin definitiv zu den digitalen Instrumenten.
FB: Eine schwierige Frage. In der aktuellen Konfiguration beispielsweise lassen sich mit dem Telemin lediglich Tonika, Subdominante und Dominante als Grundtöne spielen. Zumindest harmonisch entspricht das Telemin vielleicht einigen klassischen (wie auch immer man den Begriff jetzt deutet) Vorstellungen. Ansonsten ist das Telemin durch und durch digital ab dem Moment der Bewegungserfassungen der Sensoren.
In einem Versuch wurden die in Ableton erzeugten Daten via MIDI in analoge Steuerspannungen (CV) umgewandelt, um damit einen modularen Synthesizer anzusprechen. Eine Konfiguration, deren klangliche Möglichkeiten sich für die Hörenden nicht unbedingt groß zu denen einer digitalen Klangerzeugung unterscheiden müssen. Dennoch wäre die abschließende Verarbeitung bzw. Umwandlung der digital erzeugten Daten in analoge Schaltungen, die nicht nur Synthesizer ansprechen können, eine spannende konzeptuelle Perspektive, die das Telemin aus ihrer sehr digitalen Umgebung in ein analogeres Feld bringen würde.