Call for Papers
(Un)Making Beats.
Sampling und Beat-Making
als alternative musikalische Wissenspraxen
Beat-Making heißt, stundenlang im staubigen Sound einer einzelnen Snare zu schwelgen. Es heißt, in feinsäuberlicher Klangarchäologie die Geschichte eines Samples aus Stapeln von Vinyl auszugraben. Oder wieder und wieder um den stolpernden Groove von zwei Takten Drum-Pattern zu kreisen. …
Beat-Making ist Musikpraxis und Musikwissen zugleich. Entwickelt insbesondere im HipHop, aber auch in House, Techno und anderen Musikkulturen, hat es nicht nur eigene Gestaltungsweisen, ästhetische Strategien und Sounds etabliert, sondern auch spezifische Wissensformen, Lernpraktiken und Bildungsprozesse, die längst charakteristisch für weite Teile aktueller globaler Popmusik sowie ihre Aneignung und Vermittlung sind. Beat-Making ist, in den Worten Kodwo Eshuns, damit »weniger ein Genre als vielmehr ein Omnigenre, ein konzeptueller Ansatz für die sonische Organisation anstatt ein bestimmter Sound per se« (Eshun 1999, 15). Für eine angemessene wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem großen Teil musikalischer Gegenwart und aktueller digitaler Musikpraxis ist deswegen ein genauer Blick auf dieses ›Omnigenre‹, ein genaueres Verständnis seiner ästhetischen und bildungspraktischen Dimensionen, seiner Begriffe und Kategorien überaus hilfreich. In den letzten Jahren erhielt Beat-Making deswegen zurecht mehr kultur-, musik- und bildungswissenschaftliche Aufmerksamkeit (z.B. Rose 1994; Schloss 2004/2014; Weheliye/McKittrick 2017; Fintoni 2020; Patrin 2020; Ismaiel-Wendt 2022; Kattenbeck 2022; Pelleter 2022; Exarchos 2024; tbc …).
Allerdings bedeutet das nicht, dass Beat-Making per se die zeitgemäßere, offenere oder gar fortschrittlichere Art des Musikmachens wäre. Als Praxis wie auch als Diskurs ist Beat-Making durchzogen von seinen je eigenen Ungleichheiten und Exklusionen, Tradierungsweisen und Machtverhältnissen, Klischees und Kanonisierungen. Beat-Making ist keineswegs frei von Widersprüchen: Es bietet keinen Ausweg aus den alten Dichotomien von Kopie und Original, Authentizität und Konstruktion, Form und Material, … – aber vielleicht kann es neue Perspektiven darauf entwerfen. Im besten Fall lassen sich die Loops des Beat-Making als Reflexionsschleifen begreifen, in denen ein anderes Musikwissen und –machen hörbar wird, und in denen vertraute Kategorien und Orientierung ein ums andere Mal ins Stolpern geraten.
Zum geplanten Publikationsprojekt
(Un)Making Beats markiert einen ästhetischen, kulturellen und, sozialen Aushandlungsraum, der nicht nur musikalische Praxis, sondern auch Fragen nach Wissen, Zugang und Teilhabe immer wieder neu verhandelt. Wir möchten diesen Raum gemeinsam weiterdenken und in einem Publikationsprojekt dokumentieren. Angesprochen sind dabei Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen und Forschungsfelder, Künstler*innen und Praktiker*innen, Pädagog*innen und Kulturarbeiter*innen sowie an all jene, die sich aus einer kritischen, forschenden oder künstlerisch-experimentellen Perspektive mit Fragen des Beat-Making auseinandersetzen möchten.
Wir freuen uns über Vorschläge aller Art und insbesondere auch über freiere Formate: Neben theoretischen Reflexionen, empirischen Fallstudien oder didaktisch-methodischen Überlegungen sind daher künstlerische, spekulative und auch experimentelle Formen der Auseinandersetzung ausdrücklich erwünscht. (Für begleitende audio/-visuelle Medien o.Ä. steht eine Website zur Verfügung.) Vorschläge können eingereicht werden zu den folgenden sowie angrenzenden, ergänzenden oder auch gänzlich anders gelagerten Themenfeldern:
Beat-Making als (technik)kulturelle Praxis
Beat-Making und technische MusikmachDinge // Materielle Kulturen: Maschinen, Software, Archive und ihre Politiken // Dichte Analyse konkreter Tools / Praxen // Ästhetische Strategien und Phonographische Arbeit // Digging als Wissenspraxis // KI und technisches Sound-Wissen // Postdigitalität // Digitale Infrastrukturen und globale Zirkulationen
Politiken des Beat-Making
Demokratisierungsutopien // Sampling als politische Praxis // Plattformisierung: Sound in Warenform // Zeitregime und Chronopolitiken // Zugänge und Teilhabe: Fragen von Macht, Inklusion und Exklusion // (Un-)sicht-/hörbare Akteur*innen // Postkoloniale, feministische oder queere Perspektiven auf Beat-Making
Beat-Making und Sampling als Zeit-Maschinen
Vergangenheiten und Zukünfte des Beat-Making // Beat-Making als Klangarchäologie // Musikgeschichte aus Perspektive des Beat-Making // Rhythmus, Mikrotiming und Groove aus zeittheoretischer Perspektive // Sampling-Memory zwischen Speicher und Erinnerung
Pädagogisierung und Institutionalisierung des Beat-Making
Formen des Lernens, Vermittelns und Verlernens // Beat-Bildung // Wissensformen und Bildungsprozesse // Didaktische-methodische Vermittlungsansätze von Beat-Making // Institutionalisierungskritik (Musical Gentrification, Schoolification, kulturelle Aneignung)
Beat-Making als Mythowissenschaft
Spekulative, künstlerisch-experimentelle Auseinandersetzungen // Sonic Fiction, Sonic Epistemologies, Sonic Thinking // Spekulative Wissenspraktiken im Beat-Making // TRX Studies & Listening Sessions
Mythen & Narrative des Beat-Making
Szenen und Communities (L.A. Beat Scene, Beat Culture) // mythologisierte Orte, Räume und Protagonist*innen // Kanonisierungen, Gründungs- und Ursprungserzählungen (und ihre Probleme) // Beat-Making als globale Musik der Deterritorialisierung // Historische Entwicklung des Beat-Making
Das Publikationsprojekt soll kein klassischer Tagungs- oder Sammelband sein. Deshalb möchten wir die Themen, Perspektiven, Texte und Formate in zwei Workshops mit all jenen Beitragenden, die daran Interesse haben, gemeinsam diskutieren und weiterentwickeln. In den Workshops können Ideen vorgestellt und gesammelt, Themen und Schwerpunkte verhandelt, mögliche Kollaborationen ausgelotet und unterschiedliche Schreib- und Darstellungsformate erprobt werden. Im Herbst 2025 laden wir zu einem ersten Online-Workshop ein. Ein weiterführender Präsenz-Workshop ist für das Frühjahr 2026 geplant (s. Zeitplan).
Zeitplan
- Einreichung der Abstracts: 31.08.2025 (ca. 500 Wörter, zzgl. kurzer biografischer Notiz)
- Workshop 1 (online): 29.09.2025, 15-18 Uhr
- Workshop 2 (in Präsenz an der Universität Münster): Januar/Februar 2026 (der genaue Termin wird in Absprache mit allen daran interessierten Beitragenden festgelegt)
- Einreichung der vollständigen Beiträge: 31.03.26
- Rückmeldung zu den Beiträgen: 31.05.26
- Finale Einreichung der Beiträge: 30.06.26
- Veröffentlichung der Beiträge: 31.07.26
Hinweise zur Einreichung der Abstracts
Abstract und eine kurze biografische Notiz können an unmaking-beats@llaudioll.de geschickt werden. Für alle Nachfragen und weitere Informationen stehen wir ebenfalls unter der genannten Mail-Adresse zur Verfügung.
Herzliche Grüße,
Chris (Kattenbeck) & Malte (Pelleter)
Literaturverzeichnis
Eshun, Kodwo (1999): Heller als die Sonne. Abenteuer in der Sonic Fiction. Berlin: ID Verlag.
Exarchos, Michael (2024): Reimagining Sample-Based Hip Hop. Making Records within Records. New York: Routledge
Fintoni, Laurent (2020): Bedroom Beats & B-Sides. Instrumental Hip Hop & Electronic Music at the Turn of The Century. Chislehurst: Velocity Press
Ismaiel-Wendt, Johannes (2022): »BreakBeat Science in Erinnerung an Hanau, den 19. Februar 2020. Über Zeitregimes und Zeitregie lehren – ein Seminarkonzeptionsbericht«. In: Wilke, Thomas & Rappe, Michael (Hg.): HipHop im 21. Jahrhundert. Medialität, Tradierung, Gesellschaftskritik und Bildungsaspekte einer (Jugend-)Kultur. Wiesbaden: Springer VS. S. 193-216.
Kattenbeck, Chris (2022): Beats. Bauen. Lernen. Manifestation, Konstitution und Entwicklung künstlerischer Handlungsfähigkeit beim Beatmaking. Münster: Waxmann.
McKittrick, Katherine/Weheliye, Alexander G. (2017): »808s & Heartbreak«. In: Propter Nos, 2 (1). S. 13–42.
Patrin, Nate (2020): Bring That Beat Back: How Sampling Built Hip-Hop. Minnesota: University of Minnesota Press.
Pelleter, Malte (2022): »HOW TO MAKE YOUR OWN SAMPLES. Beat-Bildung, Zeit-Maschinen und Phonographizität zweiter Ordnung.«. In: Wilke, Thomas & Rappe, Michael (Hg.): HipHop im 21. Jahrhundert. Medialität, Tradierung, Gesellschaftskritik und Bildungsaspekte einer (Jugend-)Kultur. Wiesbaden: Springer VS. S. 331-346.
Rose, Tricia (1994): Black Noise. Rap Music and Black Culture in Contemporary America. Middletown: Wesleyan University Press.
Schloss, Joseph G. (2004/2014): Making Beats. The Art of Sample-Based Hip-Hop. Middletown: Wesleyan University Press.