Ein Interview mit Maximilian Haberer
von Laura Großmann
Wir haben mit Maximilian Haberer über seine kürzlich veröffentlichte Dissertationsschrift „Tape Matters“ gesprochen, die im Juli 2024 in der Reihe acoustic studies düsseldorf erschienen ist.
Maximilian Haberer studierte Medien-, Kultur- und Musikwissenschaften in Freiburg, Wien, Düsseldorf und an der Pennsylvania State University. Neben der Kultur, Ästhetik und Epistemologie auditiver Medien befasst er sich in seiner Forschung vor allem mit Hörkulturen algorithmischer Musikempfehlungen, Machine Listening sowie mit Verfahren automatisierter Stimmanalyse und -synthese.
„Tape Matters“ kann als eine Gegenerzählung von einem durch den Phonographen geprägten Klangdiskurs der Moderne verstanden werden. Maximilian Haberer zeigt in seinem Werk, dass das Tonbandgerät im Gegensatz zum Phonographen im Diskurs von Medien-, Kultur- und Musikwissenschaft bisher wenig Berücksichtigung gefunden hat. Dem versucht er, eine alternative Mediengeschichte entgegenzusetzen. Im Kontext von Fragen nach Digitalität und Materialität fragt Haberer in seiner Arbeit nach Ursprung und Bedeutung des Tonbandgerätes und damit zusammenhängenden Desideraten im medienkulturwissenschaftlichen Diskurs. Dabei plädiert er für die Anerkennung des Tonbands als wesentliche sekundäre Entwicklung. In dieser Funktion des Sekundären habe das Tonband einen gestalterischen Effekt, indem es phonographisches Material greif- und konzipierbar mache und Prozesse des Arrangements ermögliche. Darüber hinaus breche die Technologie des Tonbands, die sowohl kontinuierliche Signale als auch diskrete Werte speichern kann, mit einer analog-digitalen Dichotomie.
Was ist dein persönlicher Bezug zu Tonbandgeräten?
Tatsächlich ist mein Bezug zu Tonbändern vor allem akademischer Natur und nicht, wie man vermuten könnte, aus der musikalischen Praxis erwachsen. Angefangen hat alles bei der Lektüre von „Grammophon, Film, Typewriter“ (1986) von Friedrich Kittler. Im Verlauf des Buches beschreibt Kittler, wie die Erfindung des Phonographen zu neuen kulturellen und ästhetischen Praktiken geführt habe – von der Imagination von Geisterstimmen in der Literatur über die Manipulation von Funktechnik im Zweiten Weltkrieg bis hin zur Musik von Jimi Hendrix und Pink Floyd. Dass die Funktechniker im Nationalsozialismus oder die Pop-Produzenten*innen der 1960er Jahre dabei gar keine Phonographen mehr benutzen, sondern Tonbänder und Bandmaschinen, scheint für Kittler keine Rolle zu spielen – für ihn sind das alles Formen der Phonographie, Zurichtungen des soundtechnischen Realen. Das hat mich gewundert, dass die vermeintliche Wahrheit der technischen Welt hier dann doch etwas unspezifisch wird. Denn Tonbandgeräte zeichnen anders auf als Phonographen. Hier wird Schall nicht unmittelbar über Membran und Stichel auf eine Walze eingeschrieben, sondern zuerst in Wechselstrom in ein Signal gewandelt und dann auf ein mit Eisenoxid beschichtetes Plastikband elektromagnetisch aufgeschrieben. In dieser Hinsicht faszinieren mich Tonbänder und Bandmaschinen, weil sie einerseits Unmittelbarkeit – eine direkte Zugänglichkeit zu und Handhabbarkeit von Klang – versprechen, sie sich andererseits aber auch ein Stück weit verschließen bzw. ein Geheimnis in und auf sich zu tragen scheinen, da sie eben nicht wie Schallplatten die Schalleinschreibung sofort offenbaren, sondern erst in elektromagnetischem Vollzug in Erscheinung treten. Diese Faszination hat mich schließlich angetrieben, mich näher mit dem Tonband zu befassen und seinen spezifischen Einfluss auf die Musik- und Klanggeschichte des 20. Jahrhunderts.
„Tape Matters“ möchte eine Gegengeschichte zum vom phonographisch geprägten Diskurs erzählen – was verstehst Du als „phonographisches Regime“?
Das „Phonographic Regime“ ist ein Begriff von Peter McMurray und Andrea Bohlman, die 2017 in einem Special Issue Tape des Journals 20th Century Music von einer ähnlichen Beobachtung berichten, wie auch ich sie bei der Lektüre von Grammophon, Film, Typewriter gemacht habe, nämlich dass in der Literatur zu auditiven Kulturen des 20. Jahrhunderts bzw. der Sound Studies der Phonograph stets eine zentrale Rolle einnimmt und Klangphänomene aus der medialen Spezifik des Phonographen perspektiviert werden, durch die andere Klang-Medien wie z. B. das Tape subsumiert werden. Ich spreche daher auch gerne vom langen Schatten der Phonographie, der die Eigenpoesie des Bandes verdeckt bzw. vereinnahmt. In meiner Arbeit nehme ich den Begriff des phonographischen Regimes und vor allem den Appell von McMurray und Bohlman auf, das Phonographische Regime durch eine spezifische Beleuchtung des Tonbands abzubauen und das Eigene dieser anderen Klangtechnologie freizustellen.
Welche Rolle spielt Materialität in Bezug auf die Nutzung von Tonbandgeräten?
Materialität spielt für mich bei der Nutzung von Tonbandgeräten eine ganz zentrale Rolle. Denn das Tonband macht aufgenommenen Klang, oder, um einen Begriff von Rolf Großmann zu bemühen, das Phonographische, zu etwas, das mit wenigen Handgriffen geschnitten, geklebt, in Schleifen gebunden usw. werden kann. Das Tonband macht die Arbeit mit aufgenommenem Klang zu einer Sache der Hand, um die sich dann konsequenterweise auch ein ganzes Handwerk ausbildet. Es fordert gewissermaßen zur Manipulation des Aufgenommenen auf. Und dies hat vor allem mit der Materialität des Tonträgers zu tun, damit, dass das Aufgenommene in elektromagnetischer Übersetzung auf einem so manipulationsfreudigen Material aufgetragen wird. Auf einem Band aus Plastik, das offenliegt und dadurch angefasst werden kann, das aber auch die Eingriffe und Einschnitte, die ihm angetan werden, gnädig verzeiht.
Wie verändern die Klangpraxen des Tonbandgeräts die Hörerfahrung?
Mit Tonbandtechnik lassen sich nicht nur Klänge vielfältig bearbeiten und montieren, sondern auch sezieren und wesentlich präziser abhören als mit Phonographen bzw. Grammophonen. Gerade das Herstellen von Tonbandloops spielt hier eine zentrale Rolle, da hierdurch Klangfragmente in Dauerschleife abgespielt werden können. Hören mit Tonband ist vor allem ein analytisches Hören und damit auch eine Ermächtigung der Hörer*innen – das veranschaulichen z. B. die Klanganalyse-Experimente von Pierre Schaeffer, mit denen er in den 1950er- und 60er-Jahren Klänge phänomenotechnisch untersucht und klassifiziert. Das zeigt sich aber auch in den Abhörpraktiken der Geheimdienste im 20. Jahrhundert, die unmittelbar mit Tonbandtechnik verbunden sind. Die Tonband-Hörtechniken von Toningenieur*innen unterscheiden sich in diesem Sinne nur marginal von denen eines*einer Agenten*Agentin, wie etwa Francis Ford Coppolas Film „The Conversation“ veranschaulicht.
In deinem Buch beschreibst du, dass die Technologie des Tonbandes sowohl durchgehende Signale als auch binäre informationen speichern kann – sollte das Tonbandgerät folglich als Bindeglied zwischen analogen und digitalen Diskursen verstanden werden?
Ja, das Tonband kann sowohl als analoge als auch als digitale Technologie verstanden werden. Ich würde aber Abstand davon nehmen, das Tonband als „Bindeglied“ zu verstehen zwischen „alter“ Analog-Technik mit „neuer“ Digitaltechnik. Das würde meines Erachtens allzu sehr in ein lineares Entwicklungsnarrativ von Mediengeschichte einzahlen. Vielmehr verstehe ich die Widerständigkeit des Tonbands, eindeutig in die eine oder die andere Kategorie verortet zu werden, als eine Kritik an der binären Klassifizierung selbst, die gerade im Klangbereich allzu häufig auch von metaphysischen HiFi-Diskursen überlagert wird. So lässt sich am Tonband privilegiert zeigen, dass unser Diskurs zu auditiven Medienkulturen bisher vor allem von den Diskursmaschinen Phonographie und Digitalität dominiert wurde. Mit dem Tonband über Klang nachzudenken, heißt in diesem Sinne, kritisches Ohrenmerk auf die Begriffe und Konzepte der Sound Studies zu werfen und nach Alternativen zu fragen.