Ästhetische Strategien

Johannes Ismaiel-Wendt entwirft in seinem Buch post_Presets. Kultur, Wissen und populäre MusikmachDinge (Hildesheim 2016) ein methodisches Programm zur kulturwissenschaftlichen Forschung zu »populären MusikMachDingen«. Damit ist von Software, wie der hier verwendeten DAW Ableton Live, bis zu Hardware-Samplern, Synthesizern oder Drum-Machines die ganze Breite aktueller Soundtechnologien gemeint. Ismaiel-Wendts Ausgangsthese dabei ist, »dass in Musikgeräten und Tools zur Musikproduktion kulturelles Wissen eingeschrieben ist.« (Ebd., S. 17) Dabei sind diese MusikMachDinge keineswegs bloß passive Speicher solchen Wissens. »Sie bieten eigene Narrationsmöglichkeiten und Ordnungssysteme an. Sie sind kulturkonstitutiv.« (Ebd.)
Um diese kulturelle agency (Handlungsmacht, Wirkmächtigkeit) der MusikMachDinge zu analysieren, entwirft Ismaiel-Wendt fünf überschneidende Frage-Ebenen. An diesen kann sich eine kulturwissenschaftliche Forschung, die ja über das Anwendungswissen solcher Technologien hinauszugehen hat, orientieren. In der Vorlesung haben wir zu jeder der fünf Ebenen mögliche Forschungsfragen formuliert und Beispiele genannt, an denen sie diskutiert werden könnten.


1. Performativität des MmD

Frage: Wie WIRD ein MmD zu einem MmD? (Im Gegensatz zu: Was IST ein MmD?) Was kann das MmD machen?
Beispiele: Äußere Merkmale, Bedienelemente, Benennung, Bsp: Klaviatur am Synthesizer, Interface-Ebene
Was wir hier impliziert: (kulturell geprägtes) Vorwissen und Erfahrungen, Instrumenten-Begriffe (Was ist eigentlich ein Musik-INSTRUMENT?), Technologie-Begriffe


2. Kulturelle Sedimentierungen, (musik-)kulturelle Gedächtnisse und Erinnerungen im MmD

Frage: Welche Metaphern, Referenzen werden von dem Mmd genutzt um verstanden und bedienbar zu sein?
Beispiele: Zeichenmodus in Ableton, Copy&Paste, Bandmaschinen und Mischpult als Bedien-Metaphern in der DAW
Was wird hier impliziert: (Medien-)Kulturgeschichte, Traditionslinien, ästhetische Archive,  Stereotypen, Genretypen


3. (Musik-)kulturelles Wissen, Konventionen, kulturelle Logiken/Werte des MmD

Frage: Welche musikalischen Verhaltensweisen sind vom MmD vorgegeben? Welche Voreinstellungen sind möglich, welche nicht? Welche Grenzen sind gegeben?
Beispiele: Preset-Kataloge, Harmonizer, Skalen-Modi, rhythmische Quantisierungen inkl. Groove-Templates
Was wird hier impliziert: kulturelle Normen, ästhetischen Konventionen & Ideale, Vorstellungen von ›guter‹ Musik, von ›richtig‹ und ›falsch‹


4. Codierungen, Operationen, Prozessierung im MmD

Frage: Was ist der nicht mehr unmittelbar zu erkennende (technische) Hintergrund? Wie funktioniert das MmD technisch?
Beispiele: Bsp. Drum-Machine, Takt-Ordnung wird zumindest potentiell aufgehoben, statt dessen: additive Reihung der Schritte
Was wird hier impliziert: Möglichkeiten, durch ein anderes (nämlich techno-LOGISCHES) Bezugssystem etablierte musikalische Logiken zu unterlaufen; Synthesizersound oder digitales Audiomaterial können (müssen aber natürlich nicht) unabhängig von musikalischer Tonalität als Frequenzgemisch bearbeitet werden.


5. Inter- und transkulturelle Logiken, idiosynkratische Welterzeugungen durch das MmD

Frage: Wie beeinflussen MmD die Sicht auf die Welt? Welche (unmöglichen, utopischen) Klangwelten lässt das Mmd hörbar werden?
Ablesbar z.B. an: Spurenlogik in Ableton, Zeitumkehrungen und -Schichtungen, unmögliche akustische Räume durch Hall- und Echo-Effekte, unmögliche Klangerzeuger durch Physical-Modelling-Synthesizer
Was wird hier impliziert: Utopsiche Klänge und Klangräume bieten u.U. die Möglichkeit, klangliche Stereotypen, Klischees oder Tradierungen außer Kraft zu setzen. Digitale Audioproduktionen müssen keinen HiFi-Realismus erfüllen, sondern können virtuelle, andere Audio-Welten entwerfen.

Literatur

Johannes Ismaiel-Wendt (2016): post_PRESETS : Kultur, Wissen und populäre MusikmachDinge. Hildesheim: Olms.
(Das Buch ist als Open-Acces-Publikation beim Universitätsverlag Hildesheim online verfügbar: https://hildok.bsz-bw.de/frontdoor/index/index/docId/581)