Rolf Großmann

Computer als Klangmedien
- eine Einführung*

Das Thema "Computer als Klangmedien" zeichnet sich nicht gerade durch einen scharf umrissenen Gegenstandsbereich aus. Daß es dennoch auf dem Programm der "HyperKult" steht, hat seinen Grund weder in einer mangelden Klarheit des Gegenstands noch im fehlenden Gestaltungswillen des Programmkommittees. Musik ist - ganz im Sinne des übergreifenden Titels des Workshops - ein Teil der "kulturellen Produktion" sowie unter der Verwendung digitaler Medien ein Musterbeispiel für den "Computer als Medium" - eben als 'Klangmedium'. Dabei geht es nicht nur um Artifizielles, sondern um sehr handfeste Dinge wie Arbeitsplätze und Absatzzahlen, um Tonträgermärkte und Urheberrechte. Digitale Klangmedien sind Subjekte und Objekte der Massenkommunikation und der Unterhaltungsindustrie, sie gehorchen ihren Gesetzen und gestalten sie.

Nicht nur Fragen der Herstellung und der Abspielmöglichkeiten, sondern gerade Fragen der Verfügbarkeit des musikalischen medialen Materials, im Jargon der Leute von SONY und CBS auch "Software" genannt, sind zentrale Aspekte dieses Umbruchs. Die Schnelligkeit, mit der sich dieser Umbruch vollzieht, hat die Marktpräsenz seltenerer Archivproduktionen fast völlig aufgehoben. Das Gesetz des hohen Umsatzes gebietet zwar die extensive Nutzung der Archivbestände bis hin zu klanglich absurden CD-Pressungen, verbietet aber die Neuauflage unbekannter und wenig nachgefragter Werke, wie etwa einiger Haydn-Streichquartette, die schon auf dem LP- Markt nur mit Mühe zu finden waren.

Digitale Klangmedien sind von diesem Standpunkt aus weniger Avantgardewerkzeuge als Alltagsbusiness. Etiketten aus der Tradition elektronischer Klangerzeugung wie 'Elektronische Musik' oder 'musique concrete', die für ästhetische Konzepte einer inzwischen Geschichte gewordenen Avantgarde stehen, eignen sich kaum zur Beschreibung digitaler Musikpraxis. Sie provozieren - wie auch der Terminus 'Computermusik' - Mißverständnisse. Für die gängige Praxis, Medienmusik mit digitalen Mitteln (z.B. mit dem MIDI -Standard) herzustellen, scheint mir die Bezeichnung 'digitale Musikproduktion', angebracht.

Auch in der 'ernsten' Musik lösen sich die ästhetischen Dogmen serieller Ansätze oder der algorithmischen Komposition mehr und mehr auf, und führen zu einer methodisch und gestalterisch offenen Situation, in der alles möglich zu sein scheint. Geradezu exemplarisch demonstrieren die Werke und Konzepte von zweien der Ars- Electronica-Preisträger 1993 die aktuelle Ästhetik und Kompositionstechnik. Der Musiker-Techniker Bernard Parmegiani collagiert (in Entre Temps) mit Hilfe von Samplern, Synthesizern und elektronischen Bearbeitungswerkzeugen Klänge verschiedener Herkunft. Eine Reise ins Innere des Klangs veranstaltet dagegen Jonty Harrison (in ...et ansi de suite... ), indem er Klangproben eines Weinglases digitalisiert und mit verschiedenen Software-Werkzeugen bearbeitet.

Beide Verfahren enthalten charakteristische Prinzipien digitaler Musikproduktion. Die Technik Parmegianis ist eine Art 'Super-Collage', welche die Tradition der Collage auf der Ebene der digitalen Möglichkeiten zu einer neuen Qualität führt, während das Verfahren Harrisons zwar an die Praxis der musique concrete angelehnt ist, jedoch die Interaktionsmöglichkeiten der Neuen Medien in einem spielerisch-ästhetischen Zirkel, der eine Art ästhetische Version des hermeneutischen Zirkels darstellt, nutzt.

Der Begriff des Spiels verknüpft diese Überlegungen mit einem weiteren qualitativen Sprung der digitalen Klangmedien, der meines Erachtens die zukünftige Entwicklung gesellschaftlicher Musikpraxis weitaus mehr beeinflussen wird als alle vorgenannten Aspekte.

Die programmgesteuerte Klangerzeugung mithilfe digitaler Medien erlaubt die Verknüpfung von vorarrangiertem Material und Strukturprinzipien mit neuen Instrumentenkonzepten. Ein eher abschreckendes Beispiel für diese Perspektiven sind die Begleitautomatiken moderner Keyboards (Alleinunterhalter!), da sich ihre Innovation lediglich auf die Rationalisierung und Konzeptualisierung des bisher Etablierten beschränkt, ohne dessen Qualität zu erreichen. Ihr Paradigma ist das der Simulation und ihre musikalische Sprache von gestern und vorgestern. Daß es ganz anders geht, zeigen Medienartisten wie Laurie Anderson, die mit ihren Medien-Set-Ups neue künstlerische Universen erschließen. Dies gilt auch für Nick Collins und knowbotic research, die sich - auf sehr unterschiedliche Art und Weise - mit musikalischen Interfaces beschäftigen.

Diese Konzepte nehmen einen Gedanken auf, den Karlheinz Stockhausen mit der radiophonischen Musik" bereits in den 50ern propagierte, ohne damit großen Erfolg zu haben: Audiomedien sollten nicht zur Reproduktion, sondern zur Produktion genutzt werden.

(Kurzfassung des Einführungsvortrags zur "HyperKult III")

* Die Einführung beschränkt sich auf einige wenige Aspekte, die im Zentrum der HyperKult III standen. Eine instrumenten-, stil- und gattungsgeschichtliche Abhandlung der elektronischen Musik ist hier nicht beabsichtigt.

HyperKult III 'Sound Page'